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Editorial

Die Oper als revolutionäres Fest?

Die Oper als revolutionäres Fest?

Prof. Dr. Hartwig Frankenberg
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Ist Oper nicht überall?

Dr. Hella Bartnig, seit 2006 Chefdramaturgin an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, weiß nicht nur über die Oper als einzigartiger Verbindung aus Musik und Theater zu erzählen, sondern vermag ebenso über die unmittelbare Durchdringung von Opernbühne und Alltagswirklichkeit zu berichten (Interview). Als (Chef-) Dramaturgin hatte sie die Jahre zwischen 1986 und 2002 – also vor und nach der Wende – an der Staatsoper Dresden intensiv miterlebt. In ihrer repräsentativen Buchpublikation „Semperoper – Gottfried Sempers Opernhaus zu Dresden“ (1995) schreibt sie auf Seite 146:

„Am 7. Oktober dieses Jahres (1989) fand die Premiere von Beethovens ‚Fidelio‘ in einer Neuinszenierung von Christine Mielitz statt, während gleichzeitig auf dem Platz vor dem Theater und in der Innenstadt Zehntausende Dresdner gegen die unerträgliche Bevormundung durch einen totalitären Staat demonstrierten. In der Dresdner Oper präsentierte sich das Bühnenbild mit Stacheldraht und Hochsicherheitstrakt, wodurch Beethovens Werk ungeahnte Aktualität gewann.“

Die explosive Nähe zwischen Opernaufführung und aufgebrachter Menschenmasse hatte schon 1830 – als wirksame Fernzündung der Pariser Juli-Revolution – die Gründung des Königreiches Belgien beschleunigt. Die Mai-Unruhen 1849 in Dresden zeigten indes zunächst nicht diese unmittelbare Durchschlagskraft: Der zugereiste russische Revolutionär Michail Bakunin und Musikdirektor August Röckel, welcher den Maiaufstand mitangezettelt hatte, werden zu teilweise langen Haftstrafen verurteilt. Gottfried Semper, Baumeister des gleichnamigen Opernhauses und überzeugter Republikaner, kann fliehen. Der mit den drei Männern befreundete Hofkapellmeister Richard Wagner – er selbst bezeichnete sich gelegentlich als „freischaffend für die Revolution tätig“ – wird steckbrieflich gesucht und kann ins Exil nach Zürich entkommen.

Ihn als politischen Künstler hatten die revolutionären Ereignisse in Dresden allerdings tiefgreifend in seiner künstlerischen Gestaltungskraft geprägt: „Doch gespannte Zeiten“, so der Wagner-Experte Martin Geck, „wecken in Wagner zuerst einmal Hochgefühle. (…) Oder hat Wagner die Revolution tatsächlich vor allem als ein Fest der Sinne erlebt – geradezu als Urbild einer grandiosen Opernszene?“ Oper und Revolution leisten bei Wagner jedenfalls nicht nur eine existentiell-identifizierende Verklammerung, sondern fordern darüber hinaus das Opfer aller Beteiligten. Dies schließt in letzter Konsequenz – vor jedem Neuanfang – als Weltenbrand die „Götterdämmerung“ mit ein. In seiner Opern-Tetralogie „Ring des Nibelungen“ kommt dies erschütternd zum Ausdruck.

Davon kündet auch das Bildrätsel auf der Titelseite des vorliegenden Konzertkalenders. Es zeigt das typische Logo der Deutschen Oper am Rhein, wie wir es kennen: jenes „O“ für „Oper“ mit dem schlängelnden Rhein darunter. Nur für unsere Zwecke unterlegt ist das Signet mit dem Bildmotiv „Walhall“ (1896) des aus Coburg stammenden Theatermalers Max Brückner (1836–1919). Er kannte Wagner persönlich und schuf nicht nur die Bühnenbilder für den „Ring“.

So erhebt unser Bildrätsel – wie eine Art Lupe oder Brennglas – die Düsseldorfer Oper zu einer historisch-kritischen Instanz und setzt dabei durchaus auch assoziierende Hinweise frei, die an die ZERO-Künstlergruppe erinnern können: Mit Heinz Mack (Licht), Otto Piene (Feuer!) und Günther Uecker (Nägel) suchte sie ab 1958 ebenfalls nach einem neuen Anfang, einer Stunde Null. Erst kurz zuvor – 1956 – hatte sich die Gründung der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg vollzogen. Die Gründer der Gruppe ZERO statteten damals sogar deren Ballette aus. Oper ist überall!

Herzliche Grüße –
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Editorial

Titelgrafik: Michel Schier, Düsseldorf