Konzertkalender in+um Düsseldorf

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Auf den Flügeln der Musik – zum Du?

Auf den Flügeln der Musik – zum Du?

Prof. Dr. Hartwig Frankenberg
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Mit Hilfe von Zeichen können wir uns die Welt erschließen. Verstehen wir sie nicht, bleibt uns der Zugang zu Mensch oder Sache verschlossen – wie ein Buch mit sieben Siegeln! Die lakonische Bemerkung begegnet uns nicht nur beim Blick auf das Notenblatt eines Musikstücks, dessen Grundverständnis zum Kanon einer soliden Musikerziehung gehört. „Das kann man lernen“, sagen wir. Es gilt für alle Details der grafischen Aufzeichnung von Musik, der sogenannten „Notation“, womit sich die beweglichen Größen wie Höhe, Dauer und Lautstärke einzelner Töne usw. festhalten lassen. Dabei „öffnen“ die Noten-Schlüssel (wie der nach Norden weisende Pfeil auf einer Landkarte) den Zugang zur Landschaft der Töne:

Während der Violinschlüssel (beim Klavier für die rechte Hand) den Referenzton g‘ auf der zweituntersten Notenlinie festlegt, umklammern die beiden Punkte des Bassschlüssels wie zwei Pfoten das kleine f auf der zweitobersten Linie, so dass die linke Klavierhand „Bescheid weiß“, wo sie sicher hinlangen soll. Branchentypische Zeichen wie Schiffsanker, Kneifzangen oder stilisierte Musiknoten, Violin- oder Bassschlüssel finden sich auch gerne auf Geburtstagstorten oder Party-Einladungen. Sie werden ebenso für bild-rhetorische Zwecke in Werbung und Öffentlichkeitsarbeit genutzt, um Bedeutungsinhalte gleichnishaft auf fachfremdes, zumindest neues Terrain zu übertragen.

So weist der stilisierte Bassschlüssel (ohne die beiden Pfoten-Punkte) auf den Außentitel des vorliegenden Konzertkalenders und auf den Projekttitel „Auf Flügeln der Musik – Konzertprogramme für Menschen mit Demenz“ (IBK Remscheid) hin: Im Wort „Flügel“ ersetzt der Bassschlüssel in seiner „neuen“ Verwendung durch eine gelungene Übertragung und semantische Erweiterung nicht nur den Buchstaben „g“, sondern erinnert geschickt an die Form eines Flügels. Beflügelnd und inspirierend kann das Thema „Demenz und Musik“ – wie im Interview – immer dann wirken, wenn ein Mensch mit Demenz in seiner ganzen Persönlichkeit angesprochen wird, auch wenn seine Identität im äußeren Auftritt nur „verschleiert“ erscheint, aber hinter dieser unfreiwilligen Maske dennoch vollkommen und anwesend ist. Dies fordert die dialogische und substantielle Verschränkung von „Ich und Du“, wie sie einst schon Martin Buber formuliert hat. Der britische Demenz-Pflegewissenschaftler Tom Kitwood bezieht sich explizit auf den jüdischen Religionsphilosophen.

Herzliche Grüße –
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg


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Titelgrafik: Michel Schier, Düsseldorf