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„Musik im Gespräch!“(01/02 2018)

Thomas Gabrisch: „Manchmal lohnt sich der Blick über die Kirchturmspitze, in fernere Länder und auf nicht ganz so geläufige Musik!“

Thomas Gabrisch: „Manchmal lohnt sich der Blick über die Kirchturmspitze, in fernere Länder und auf nicht ganz so geläufige Musik!“

Prof. Thomas Gabrisch als Gast bei „Musik im Gespräch!“ am 28. November 2017 in der Düsseldorfer Musikbibliothek.

Der gebürtige Hamburger Thomas Gabrisch begann seine Karriere im Alter von 22 Jahren – nach Studium und Abitur in seiner Heimatstadt – an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Zunächst Korrepetitor, wurde er bald Kapellmeister und Leiter des Opernstudios, dirigierte über 200 Abende Opernrepertoire und mehrere eigene Premieren. Nach zwei Jahren als Stellvertreter von GMD Donald Runnicles und Ersten Kapellmeister am Freiburger Theater wurde er zum Chefdirigenten der Nürnberger Symphoniker ernannt. Gabrisch arbeitete mit vielen verschiedenen Orchestern in Deutschland, u. a. mit dem Rundfunkorchester des WDR. Außerdem dirigierte er Symphoniekonzerte mit den Orchestern in Mainz, Frankfurt/Oder, Freiburg, Heidelberg, Giessen und San Remo.

Seit 1997 ist Thomas Gabrisch ordentlicher Professor an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf und leitet dort die Opernklasse mit der er jedes Jahr ein großes Opernprojekt mit erstaunlicher öffentlicher Resonanz zur Aufführung bringt.

Nach einer CD-Aufnahme mit dem Orquesta da Camera de La Habana wurde Thomas Gabrisch zum ständigen Gastdirigenten ernannt und gibt dort seitdem auch regelmäßig Symphoniekonzerte mit dem Orquesta Nacionál de Cuba – zuletzt im Oktober 2017 u. a. mit der zweiten Symphonie von Gustav Mahler und dem Requiem von Mozart. Zu diesem Konzert wurde außerdem der Konzertchor Ratingen eingeladen mitzuwirken. 2013 hatte Gabrisch die Leitung dieses Chors übernommen, die Sinfonietta Ratingen gegründet und seitdem sein Repertoire auch um die großen chorsymphonischen Werke von Brahms, Verdi und Haydn erweitert. www.thomasgabrisch.com

Bereits mit 9 Jahren entdeckte Luisa Maria Gabrisch ihre Liebe zur Harfe und nahm Unterricht. Die Tochter von Thomas Gabrisch und der Sängerin Sabine Schneider erhielt schon bald erste Auftritts-Angebote wie im Kinder- und U16-Orchester der Tonhalle Düsseldorf. Für ein anspruchsvolles Programm eines zeitgenössischen Komponisten (Benjamin Attahir) wurde sie 2017 kurzfristig vom Jugendsinfonieorchester der Tonhalle eingeladen. Zeitgleich spielte sie im Landesjugendorchester NRW. Luisa Maria Gabrisch wurde seit 2014 mehrfach von der Sinfonietta Ratingen angefragt und spielte dort bisher in Werken von Brahms, Rutter, de Falla und Saint-Saëns. Seit 2015 wird sie von Fabiana Trani unterrichtet und hat in ihrer Klasse im Oktober 2016 ein Jungstudium an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf begonnen. Bei „Jugend musiziert“ erreichte sie 2014 im Bundes-wettbewerb einen zweiten Preis, im Frühjahr 2017 den ersten Preis. Am 23. Dezember 2017 spielte sie im Rahmen eines Festlichen Weihnachtskonzertes, zusammen mit dem Konzertchor Ratingen und der Sinfo-nietta Ratingen, unter Leitung von Thomas Gabrisch den Solopart im Konzert für Harfe und Streicher in B-Dur von Georg Friedrich Händel.

In Vertretung für die leider kurzfristig erkrankte Sabine Schneider übernahm William Drakett den Gesangspart im musikalischen Rahmenprogramm des Abends. Der vielseitige Bariton kommt ursprünglich aus Bristol (GB) und studierte Orgel, Cembalo und Gesang am Royal Birmingham Conservatoire. Seitdem durchlief er eine Karriere als Leiter des Domchors der Stadt Wells (Somerset) und anderer Chöre sowie als Solosänger. Sein Repertoire umfasst chorsymphonische Werke von Brahms, Haydn, Mozart und Bach. Seine besondere Liebe gehört dem Liedgesang. Seit September 2017 studiert William Drakett Operngesang bei Prof. Konrad Jarnot an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf.

Musikalisches Rahmenprogramm am 28.11.2017:

Luisa Maria Gabrisch Harfe:

Virgilio Mortari (1902–1993): Sonatina Prodigio für Harfe

Domenico Scarlatti (1685–1757): Sonata für Harfe

Marcel Grandjany (1891–1975): Colorado Trail für Harfe

William Drakett , Bariton, Thomas Gabrisch , Klavier:

Benjamin Britten (1913–1976): Tom Bowling

Gustav Mahler (1860–1911): Liebst du um Schönheit

Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit der Musik erinnern?

Meine Eltern berichten, ich hätte als kleiner Junge eines Tages vor unserem großen Radio gestanden und im Takt der Musik mitgewippt – ob das nun Pomp and Circumstance oder der Radetzky-Marsch war, das weiß ich nicht mehr. Aber es hatte mir wohl Spaß gemacht, das zu hören. Meine Eltern meinten dann, dass ich vielleicht musikalisch veranlagt sein könnte, auch wenn es in meiner Familie sonst keinerlei erbliche Hinweise in Richtung Musik gab.

Und Ihre ersten konkreten musikalischen Erfahrungen?

Meine ersten musikalischen Erfahrungen machte ich in der Grundschule. Wir hatten einen sehr fähigen Lehrer, der jedem von uns Schülern ein Musikinstrument in die Hand drückte – sei es nun eine Blockflöte oder ein anderes Instrument. Ich spielte auf einer Blockflöte, und schon bald sagte dieser Lehrer meinen Eltern: „Kaufen Sie dem Jungen mal ein Klavier!“ Meine Eltern waren ziemlich überrascht und hatten – zum Glück! – auch keine Vorstellung davon, was es bedeuten könnte, wenn jemand im Haus regelmäßig Klavier übt!

Wann kam dann das Klavier ins Haus?

Nach den Sommerferien kam dann ein Klavier ins Haus, woran ich schnell viel Freude hatte. Ich hatte eine gute Lehrerin, die mir sehr schnell viel beibringen konnte. In dieser Situation wurde ich neugierig und fragte mich, was es denn sonst noch an Musik gibt. Ich kann mich an einen „Buch- und Schallplatten-Club“ erinnern, der uns dann einmal im Monat eine Schallplatte ins Haus schickte. So kam ich relativ ungeordnet und wahllos an die unterschiedlichsten Musikstile heran. Erinnern kann ich mich an eine Aufnahme der Passacaglia von Johann Sebastian Bach, die von Helmut Walcha auf der Orgel gespielt wurde. Das war übrigens meine erste Schallplatte – eine Musik, die ich einfach faszinierend fand! Aber dann kamen sehr schnell die Symphonien von Johannes Brahms oder auch sein 2. Klavierkonzert in B-Dur, was ich besonders mochte.

Wie setzte sich Ihr Interesse für die Musik fort?

Meine Schwester, die 7 Jahre älter ist als ich, nahm mich eines Tages mit ins Theater. Wir besuchten zusammen die Premiere von „Romeo und Julia“ von Sergej Prokofjew. Ich war 14 und mich begeisterte diese Mischung aus Musik, Bewegung und Gesang – ohne gesprochene Sprache. Am nächsten Tag versuchte ich in der Schule, meinen Kameraden davon zu erzählen, wurde jedoch von niemandem verstanden! Da stellte ich fest, dass ich wohl etwas anders geprägt war als meine Schulkameraden und mich von ihnen unterschied! Aber ich glaube, das gibt es heute auch noch, meiner Tochter geht es in der Schule da gar nicht viel anders.

Wann hatten Sie den Eindruck, dass die Musik zu Ihrem Beruf werden könnte?

Ich bekam eine neue Klavierlehrerin, die mich nach meinem Berufswunsch fragte und sagte: „Hoffentlich nicht Pianist!“, worauf mein Berufswunsch einen leichten Knacks bekam – auch durch die Aussicht auf die sehr geringe Entlohnung. Diese Darstellung empfand ich ein wenig rabiat, dachte aber, meine Lehrerin durch entsprechendes Engagement und Leistung vielleicht doch überzeugen zu können, Musiker zu werden. Ich begann also sehr viel zu üben und gewann in Berlin zusammen mit einem Kammermusik-Trio einen 1. Preis beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“.

Wann kam der „Dirigent“ in Ihr Bewusstsein?

Meine Klavierlehrerin war dann doch endlich überzeugt. Eines Tages fragte sie mich sogar: „Wie wär’s denn mit einem Kapellmeister-Studium?“ Bis dahin hatte ich dieses Wort noch nie gehört und wusste damit überhaupt nichts anzufangen! Ich fing an, mich damit zu beschäftigen und habe einen Ballett-Repetitor, den ich vom berühmten Neumeier-Ballett in Hamburg her kannte, weiter gefragt. An Sonntag-Vormittagen gab es eine sogenannte „Ballett-Werkstatt“, die ich besuchte und wo ich den Repetitor zum Begriff „Kapellmeister“ interviewen konnte: „Was muss man denn da tun?“ Seine Antwort: „Ja, Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule – und wenn Sie schon mal üben wollen, leiten Sie einen Männerchor.“ Dann habe ich mit 18 meinen ersten Männerchor geleitet, was sehr interessant für mich war – vor allem weil das altersmäßig deutlich auseinander klaffte. Das war eine sehr gute Schule!

Luisa Maria Gabrisch, 1. Preisträgerin 2017 bei „Jugend musiziert“, brillierte auf ihrer Harfe mit Werken von Mortari, Scarlatti und Grandjany.

Wie ging es dann weiter?

Noch bevor ich die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule machte, habe ich ganz frech den Chef der Hamburger Philharmoniker Aldo Ceccato angeschrieben, ob ich bei ihm Privatunterricht nehmen könnte. Er hat mich zu seinen Orchesterproben eingeladen. Da stand ich dann hinterher mit ihm und weiteren Praktikanten zusammen, wobei er uns klar zu machen versuchte, dass der „Schlag“ eines Dirigenten auch hörbar sein müsse. Es müsse also in Schulter und Armen regelrecht knacken! Ich fand das damals lustig und habe vor dem Spiegel das Dirigieren geübt, bis es wirklich knackte. Aldo Ceccato war ein erfolgreicher Dirigent und ziemlich viel unterwegs. Auch nachdem ich meine Aufnahmeprüfung bestanden hatte, hielt ich den Kontakt zu ihm bei, worauf er eines Tages fragte: „Hast du Lust mitzufahren, ich dirigiere an der Wiener Staatsoper La Traviata von Guiseppe Verdi?“ Ich sollte ihm assistieren und meine Beobachtungen schriftlich fixieren. Diese Aufgabe fand ich grandios und habe heute noch eine sehr starke Erinnerung an diese Erlebnisse. Auch an Einzelszenen, z. B. wie die Klarinette in der Szene der Brief-Übergabe gespielt hat. So etwas vergisst man sein Leben lang nicht. Das waren ganz prägende Momente für mich!

Schildern Sie Höhepunkte Ihres Musik-Studiums!

Das Studium war relativ kurz, weil ich nach 3 Semestern schon wieder weg war! Ich kann mich gut an die Aufnahmeprüfung erinnern, als wir in einen Raum kamen, in dem 12 aufgeschlagene Partituren lagen, und wir erschließen mussten, um welche Komponisten – oder zumindest um welche Epoche – sich die jeweilige Musik handeln könnte. Das war eine interessante Aufgabe – etwa 9 oder 10 der Partituren konnte ich genau zuordnen. Der spätere Unterricht bestand dann darin, dass man zwei Studenten, die vierhändig an je einem Flügel spielten, mit einer Symphonie oder Oper dirigieren musste. Der unterrichtende Professor reagierte dabei recht zynisch und es war normal, dass er immer einen aus der Klasse „fertigmachte“. In diesen Momenten nahm ich mir vor, dies ganz anders zu machen, falls ich irgendwann einmal selbst unterrichten sollte. Das Verhalten dieses Mannes empfand ich einfach als demotivierend! Das Studium war übrigens mit der Aufgabe gekoppelt, an der Hamburgischen Staatsoper kleinere Jobs zu übernehmen.

Können Sie das ein wenig ausführen?

So fand ich mich dort als Beleuchtungs-Repetitor wieder und musste an drei Abenden pro Woche an der Oper meinen Dienst erfüllen. Mit der Partitur in der Hand und dem jeweiligen Kapellmeister auf dem Monitor sollte ich dem Beleuchtungsmeister entsprechende Signale geben. Dabei konnte ich sehr viel lernen und mein Repertoire erweitern – auch was die unterschiedliche Qualität der Aufführung, des Dirigenten, des Orchesters und der Sänger betraf. Dazu habe ich dann noch als Pianist bei den Proben des Opernchores begleitet.

Gibt es weitere Erfahrungen dieser Art in Ihrem Studium?

Bei vielen Proben in der Staatsoper konnte ich also dabei sein. Hier machte ich die wichtige Beobachtung, dass das Lern- und Arbeitstempo und der Anspruch dort viel höher waren als an der Hochschule. Ich hatte den Eindruck, dass es mir an der Hochschule zu langsam ging. Ich wollte einfach mehr gefordert werden, so dass ich sechs große Theater wegen eines Volontariats anschrieb. Als einziges reagierte die Deutsche Oper am Rhein und lud mich ein. Im 3. Semester ging ich also nach Düsseldorf, um dort für vier Wochen Volontär zu sein. Geld gab es keines. Also habe ich mein bisschen Erspartes zusammengekratzt, hier beim CVJM am Hauptbahnhof gewohnt und versucht, mit 10 Mark am Tag auszukommen. An der Oper durfte ich zunächst nur zuhören, aber am Schluss der vier Wochen durfte ich sogar einmal bei GMD Hiroshi Wakasugi eine komplette Ensemble-Probe für Don Giovanni spielen. Es schien ihm gefallen zu haben, jedenfalls hatte es zur Folge, dass ich drei Monate später zum Korrepetitor-Probespiel eingeladen wurde. Zur Vorbereitung waren da sehr hohe Ansprüche zu erfüllen: die Schlußszene aus „Salomé“ von Richard Strauss, ein Stück „Wozzek“ von Alban Berg und das große Duett Sieglinde/Siegmund aus der „Walküre“ von Richard Wagner. Das Probespiel klappte und ich wurde mit 22 Jahren Korrepetitor in Düsseldorf!

William Drakett, Bariton, erfreute das Publikum mit Gesängen von Britten und Mahler. Auf dem Flügel begleitete ihn Prof. Gabrisch.

Angesagt war also, Studium und frühe berufliche Erfahrungen miteinander zu koppeln?

Gottseidank habe ich mich an der Hochschule in Hamburg immer wieder zurückgemeldet, habe mich vom Dienst in Düsseldorf befreien lassen, um mit dem Flieger rechtzeitig in Hamburg z. B. zu einer Theorie-Klausur zurück zu sein. Und auf diese Weise habe ich dann sogar auch noch mein Diplom gemacht!

Und wie ging es dann weiter als Korrepetitor, Kapellmeister und Dirigent?

Das ist eine interessante Geschichte. Damals war ja Kurt Horres (1986–1996) Generalintendant an der Deutschen Oper am Rhein. Nachdem ich drei Jahre Korrepetitor war, habe ich mir einen Termin bei ihm geben lassen, um mit ihm über meine berufliche Zukunft zu sprechen. „Ich würde hier gerne mal etwas dirigieren“, sagte ich ihm. Er antwortete: „Hier hat seit 25 Jahren kein Korrepetitor dirigiert, wie stellen Sie sich das denn vor!“ Meine Reaktion: „Ich würde aber so gerne mal die Lustige Witwe dirigieren.“ Der GMD Hans Wallat hat dann ein gutes Wort für mich eingelegt und ich durfte das dann doch machen! Es waren zwei Dirigate in Duisburg ohne Orchesterprobe, was sehr aufregend war – aber doch funktionierte.

Wie ging es dann weiter?

Ich saß am Flügel zu einer Probe für Liebestrank, als der Anruf von Horres kam, ob ich in vier Tagen die „Margarethe“ von Charles Gounod dirigieren könnte. Aber das Stück kannte ich überhaupt nicht! Die Bedingung lautete, Hans Wallat ist krank – und wenn Sie das schaffen, kriegen Sie einen besseren Vertrag, als 2. Kapellmeister! Das war sehr aufregend, aber es klappte, und ich bekam den besseren Vertrag – mit der Zusatzverpflichtung, die Leitung des Opernstudios mit zu übernehmen. Da kam dann Büro- und Organisationsarbeit hinzu. Damals war die Deutsche Oper am Rhein so etwas wie eine Opern-Fabrik – es wurden so viele Vorstellungen gegeben, wie kaum an einem Theater in Deutschland sonst! Da kam man schon an die Grenzen der Belastungs- und Leistungsfähigkeit – aber als 2. Kapellmeister auch nach ein paar Jahren an ein Ende der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten.

Sie gingen dann nach Freiburg?

Kurt Horres sprach mich deshalb eines Tages an und empfahl mir, meine Karriere an einem anderen „Haus“ fortzusetzen. Dann habe ich mich umgeschaut und ging – dank Vermittlung einer Agentur – nach Freiburg. Da erinnere ich mich noch an einen Satz meines Agenten der sagte: „Als Kapellmeister darf man nie in eine Stadt ziehen, wo nicht der Intercity hält! Denn wenn du jemanden einladen willst, und derjenige dreimal umsteigen muss, dann kommt er nicht!“ Das war eine sehr praktische Weisheit. In Freiburg traf ich auf Donald Runnicles, der gerade auf dem Absprung in seine internationale Karriere war und nach San Francisco ging. Von ihm konnte ich sehr viel lernen, aber er gab mir auch sehr viele Freiheiten! Er sagte, er brauche jemand, der das Theater führt, während er 6 Monate im Jahr nicht da ist, weil er internationale Verpflichtungen hat. Es war insofern auch eine sehr glückliche Zeit, weil ich alles das, was ich in Düsseldorf zuvor gelernt hatte, dort in die Praxis umsetzen konnte und dazu noch meine ersten Symphoniekonzerte dirigieren durfte.

Dann gingen Sie nach Nürnberg?

Die Arbeitsverhältnisse waren dort ähnlich wie in Düsseldorf, weil der Arbeitsdruck ähnlich hoch war. Die Symphoniekonzerte in der Meistersingerhalle mit 2.300 Plätzen waren immer ausverkauft – und alle 2 Wochen gab es ein neues Programm! Das war für mich sehr motivierend, auch wenn der Arbeitsdruck enorm hoch war. Hinzu kam die Herausforderung als Chefdirigent, mit gerade mal 30 auch altgediente Orchestermitglieder aus ihrem Trott herauszuholen. Zunächst habe ich versucht, mit den Leuten auf Augenhöhe umzugehen. Aber da musste man aufpassen, dass das nicht falsch verstanden und als Schwäche ausgelegt wurde. Oft war es doch eher so, dass manche Orchestermusiker eine klare Ansage benötigten. Aber dennoch versuche ich immer, auch heute, einen gewissen Umgangston – eine gewisse Schwelle – nicht zu unterschreiten.

„Man spürt förmlich, wie sich alle auf den Abend freuen!“ – so beschreibt Chorsängerin Uta Domnick den Moment unmittelbar vor dem Auftritt des Konzertchors Ratingen in der Basilica Menor de San Francisco de Asis in Havanna. Diesen Augenblick dokumentierte sie auch mit ihrer Kamera.

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1997 übernahmen Sie dann als Professor die Opernklasse an der Robert Schuman Hochschule. Welche Aufgaben sehen Sie darin und welches Projekt bearbeiten Sie im Moment?

Die Position war frei geworden, und da man mich als Leiter des Opernstudios offensichtlich noch in guter Erinnerung hatte, erhielt ich das Angebot, die Leitung der Opernklasse an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf zu übernehmen. Die Entscheidung fiel mir zunächst nicht ganz leicht, da ich Sorge hatte, meine sonstigen Konzert- und Opernverpflichtungen könnten dadurch zu kurz kommen. Aber schon bald zeigte sich, dass dieser neue berufliche Weg genau richtig für mich war.

Welche Erfahrungen konnten Sie hier machen?

Als Leiter des Opernstudios an der Rheinoper hatte ich die Erfahrung gemacht, dass es relativ schwierig war, junge Sänger zu finden die schon weit genug für ihre berufliche Laufbahn ausgebildet sind. Aus diesem Grund habe ich dann damals an der Hochschule diese jährlichen Opernprojekte erfunden und zusammen mit dem früheren Rektor der Hochschule, Prof. Helmut Kirchmeyer, entwickelt. Mit einem sehr knappen Etat von 500 Mark haben wir damals das erste Projekt, die Bettleroper von Benjamin Britten auf die Beine gestellt. Im Schulterschluss mit der Deutschen Oper am Rhein wurden und werden auch noch heute hier komplette Opernproduktionen mit Studierenden erarbeitet, nach Maßgabe professioneller Regeln und Ausstattungen geprobt und öffentlich aufgeführt.

Wie waren und sind die Erfolge dieser Opernprojekte?

Die sind inzwischen zu einer wichtigen und festen Einrichtung geworden. Und wir sehen mit Freuden, wie die Studierenden hier an ihren Aufgaben wachsen. Es lässt sich feststellen: Wenn diese jungen Menschen bei drei bis vier Opernprojekten dieser Art aktiv teilgenommen haben, entsprechen sie schon deutlich besser den Anforderungen ihres späteren Berufes. Es kommt auch immer wieder vor, dass besonders befähigte Studenten – wie kürzlich David Jerusalem oder Monika Rydz – anschließend vom Opernstudio der Rheinoper übernommen werden. Am 12. April 2018 werden wir übrigens „La Cenerentola“ von Gioachino Rossini aufführen.

Sie führen erfolgreich den Ratinger Konzertchor und die Sinfonietta Ratingen – welche Herausforderungen gibt es hier für Sie und Ihre Musiker?

Einfach gesagt: Ich versuche, ein Ergebnis, das professionellen Ansprüchen standhalten kann, mit Laien herzustellen. Dies lässt sich erreichen, indem wir uns relativ viel Zeit nehmen. Diesen Grundsatz verfolge ich auch bei meiner Hochschularbeit. Das heißt: Wir arbeiten, korrigieren und feilen so lange, bis wir den Eindruck haben, dass wir unsere Arbeit der Öffentlichkeit präsentieren können. In einem Übernahmekonzert hatte ich den Ratinger Konzertchor von meinem Vorgänger übernommen, der den Chor vor 40 Jahren gegründet und zu einer beachtlichen Reife geführt hatte. Er dirigierte die erste und ich die zweite Hälfte des Konzertes. Dazu spielte ein professionelles Orchester, was mir nicht gefiel.

Was hat Sie da gestört?

Mich störte die Einstellung: „Wir machen so viele Dienste. Heute sind wir in der Provinz und da haben wir halt keine Lust!“ Diese Beobachtung fand ich peinlich und unwürdig. Bei der Probe hatte ich schon diese Beobachtung gemacht: Als wir die Fledermaus-Ouvertüre spielten, und ich wollte es ein wenig schneller haben, hieß es: „Aber wir haben es immer schon so gespielt!“ Diese traurige Erfahrung brachte mich zu dem Entschluss, für die beiden Jahreskonzerte mit dem Konzertchor 2013 ein eigenes Orchester – die Sinfonietta Ratingen – zu gründen. Das sind handverlesene Musiker aus den umliegenden Orchestern, dazu Dozenten der Hochschule, talentierte und motivierte Freiberufler und ein paar fähige Studenten, die wir alle persönlich angesprochen und ausgewählt haben. Das wurde zu einem absoluten Erfolgsmodell und hat auch dazu geführt, dass sich die Musiker während der Proben schon mal zueinander umdrehen und sagen: „Hier spiele ich aber gerne!“ Inzwischen bestreiten wir mit der Sinfonietta auch symphonische Konzerte wie z. B. gerade das Abschlusskonzert beim Gitarrenfestival, spielen beim Trimborn Wettbewerb oder beim Open Air Konzert vor Schloss Cromford. Die gesamte Organisation rund um dieses Orchester, und das ist nicht wenig, wird übrigens grandios von meiner Frau Sabine Schneider geleistet, mit der ich das Orchester zusammen gegründet habe.

Vor wenigen Wochen waren Sie mit dem Ratinger Konzertchor zu einer Konzertreise in Havanna. Wie kam es dazu?

Ein Kollege von mir und inzwischen sehr guter Freund, Joaquin Clerch, der aus Kuba kommt, ist bei uns an der Hochschule Professor für Gitarre. Eines Tages, es war 2011, fragte er mich, ob ich Lust hätte, in Havanna eine CD-Aufnahme mit ihm zu machen – der Dirigent, der das übernehmen sollte, sei abgesprungen. Der Termin sei in 4 Wochen. Warum nicht! Kuba? Da war ich noch nie! Welche Sprache wird da gesprochen? Spanisch! Kann ich nicht! Sollte aber doch irgendwie auf Englisch und mit Dolmetscher gehen.

Was wurde aus dem Angebot?

Wir haben das gemacht. Nach einem Konzert kam die CD-Aufnahme. Es klappte alles wunderbar! Das hat mit diesen Musikern einen ungeheuren Spaß gemacht, weil die so – im besten Sinne – hochmotiviert sind! Disziplin ist da nicht so sehr angesagt, es geht dort eher etwas „mediterran“ zu, z. B. wann man eine Probe anfängt. Die pflegen aber eine Einstellung der Musik gegenüber, die mir sehr gut gefällt! Das würde ich eigentlich gerne öfter machen, dachte ich damals. Dann wurde ich gefragt, ob ich bereit wäre, im Rahmen eines staatlichen Programms für Kulturförderung aus dem Ausland, zweimal pro Jahr zu einem speziellen Projekt nach Kuba zu kommen. Dabei ginge es um die Vermittlung von deutscher bzw. europäischer Musik. Klar, dachte ich, das mache ich!

Sprechen Sie inzwischen schon ein wenig Spanisch?

Jetzt, 2017, war ich bereits zum 15. Mal in Kuba, war auch zwischendurch fleißig und spreche und schreibe es jetzt fließend.

Thomas Gabrisch und Hartwig Frankenberg beim Gespräch in der Musikbibliothek.

Und nun haben Sie zum ersten Mal den Ratinger Konzertchor nach Kuba mitgenommen – wie war das?

Gedacht daran hatte ich natürlich schon von Anfang an. Das hatte aber einen Vorlauf von 3 Jahren, bis wir alles organisiert hatten. Bei den Visa-Formalitäten konnte es einem schwindelig werden! Aber geklappt hat es dann doch! Als wir endlich dort waren und miteinander proben konnten, habe ich mich doch sehr gefreut. Meine Idee war dabei auch, dass wir nicht alleine singen, sondern zusammen mit dem kubanischen Nationalchor. Das sind Profi-Sänger, die über eine sehr feine Gesangskultur verfügen. Die erste gemeinsame Probe war einfach beglückend! Ich finde es einfach großartig, dass da zwei Gemeinschaften aus zwei völlig verschiedenen Kulturen und Sprachen, sowohl bei Mahler wie auch bei Mozart so erfolgreich zusammenarbeiten können! Die Musik macht es möglich.

Es gab schon vor der Konzertreise einen Impuls an alle Teilnehmenden, sie mögen den Aufenthalt auf Kuba nach Möglichkeit auch gerne für persönliche Interessen wie Urlaub, Kultur, Landeskunde usw. nutzen. Wie wurde diese Empfehlung aufgenommen?

Das wurde sehr gut angenommen und hat uns alle – zusammen mit den rein musikalischen Aktivitäten wie Proben und Aufführungen – als Gemeinschaft sehr zusammengeschweißt. So konnten auch Schwierigkeiten wie Service-Probleme im Hotel oder Reisekrankheiten trotzdem gut gemeistert werden. Und ich habe jetzt vor, mit diesem Chor alle zwei Jahre eine Reise zu unternehmen. Das ist ganz wichtig für uns – aber auch nach draußen als Erscheinungsbild, um eventuell neue, interessierte Chorsänger auf uns aufmerksam zu machen!

Wäre es für Sie auch vorstellbar, die Sinfonietta auf diese Reisen einmal mitzunehmen?

Ja schon, aber: Das ist eine Frage der Kosten und der Organisation. Die Orchestermusiker müssten sich dann ja auch so lange freinehmen und müssten entsprechend honoriert werden. Viel preiswerter und daher praktikabler ist es, mit einem Orchester vor Ort – wie jetzt geschehen – vorher zu proben und dann gemeinsam zu konzertieren.

Sie haben ein Buch-Projekt in Arbeit. Möchten Sie darüber etwas erzählen?

Vielleicht nur kurz anreißen. Als ich mich vor etwa eineinviertel Jahren im Juli in Havanna aufhielt, ging ich auf dem Weg von den Proben zum Hotel ein wenig spazieren und bin vor einem Haus stehen geblieben, das mich faszinierte. Das Haus, eher eine Villa, war schon ziemlich verfallen, schon ein wenig überwuchert – aber man konnte deutlich sehen, dass das einmal ein besonders schönes, großes, wunderbar gebautes Haus war. Das habe ich überlegt, was wohl mit und in diesem Haus war. Was hat da stattgefunden? Was könnte da alles passiert sein?

Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Da kam mir die Idee, mich einmal hinzusetzen und darüber etwas zu schreiben. Im Hotel habe ich mich an den Pool gesetzt und angefangen zu formulieren, eine Geschichte zu verfassen, mir Charaktere auszudenken und die Fantasie ein wenig laufen zu lassen. Zwei Monate später, schon längst wieder zuhause, hatte ich dann das Gefühl: „Ich glaube, ich hab’s!“ Habe das Manuskript dann erst einmal zur Seite gelegt – mal sehen, was und ob daraus etwas wird. Ist auch nicht so wichtig – das Schreiben hat Spaß gemacht! Vielleicht finde ich aber sogar noch einen Verlag, mal sehen …

Das alte Haus stellte sich Ihnen möglicherweise ja auch musikalisch dar wie eine zufällig gefundene Partitur, die man zum Leben erwecken kann?

Ja, in der Gattung Oper, mit der ich mich ständig beschäftige, geht es ja auch immer um die Charaktere der Figuren und deren Zusammenspiel!

Welche beruflichen Wünsche haben Sie an die Zukunft?

Schöne Frage! Im Moment habe ich das Gefühl, dass es mir mit dem, was ich tue und bin, sehr gut geht. Ich wünsche mir erst einmal, dass das so bleibt und weitergeht – dass ich die schönen Konzerte mit dem Konzertchor, mit der Sinfonietta und die Opernprojekte mit der Hochschule weitermachen kann. Und wenn es die Zeit erlaubt, auch zwei- bis dreimal im Jahr hinaus in die Welt zu fahren, um dort ebenfalls Konzertprojekte zu verwirklichen, die mir immer schon am Herzen gelegen haben. Auch mit fremden Kulturen, Orchestern und Musikern würde ich gerne zusammenarbeiten.

Haben Sie nicht auch mit Spanien schon musikalisch zu tun gehabt?

Ja, vergangenes Jahr war ich drei Mal in Spanien und habe in Granada und Madrid dirigiert.

Gibt es schon rein gefühlsmäßig Unterschiede zwischen Kuba und Spanien?

Spanien ist vielleicht ein wenig disziplinierter.

Und Kuba vielleicht ein wenig herzlicher?

Durchaus, aber Gefühl für Rhythmus haben sie beide!

Danke für das Gespräch!

Das Interview führte
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Fotos: Thomas Kalk / Christian Stubbe / Uta Domnick.

Programm-Vorschau:

Opernpremiere „La Cenerentola“ von G. Rossini

Thomas Gabrisch, Musikalische LeitungInformationen:

www.rsh-duesseldorf.de

Donnerstag, 12. April 2018, 19:30 Uhr: Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, Fischerstraße 110

Folgetermine: 13. / 14. / 15. / 17. April, jeweils 19:30 Uhr.

Frühjahrskonzert

Georges Bizet: Te Deum; Charles Gounod: Cäcilienmesse
Konzertchor & Sinfonietta Ratingen
Thomas Gabrisch
, Musikalische LeitungInformationen:

www.konzertchor-ratingen.de

Samstag, 5. Mai 2018, 19:00 Uhr: Stadthalle Ratingen, Schützenstraße 1.

INTERVIEWREIHE „MUSIK IM GESPRÄCH“: WEITERE TERMINE 2018

Zeit: 20:00 Uhr

Ort: Zentralbibliothek / Musikbibliothek / Lesefenster

Bertha-von-Suttner-Platz 1
40227 Düsseldorf


Manfred Hill, Vorsitzender des Städtischen Musikvereins



Theodor Kersken, Düsseldorfer Hofmusik, 1. Vorsitzender



Prof. Dr. Karlheinz Schüffler, Organist und Mathematiker, Hochschule Niederrhein, Krefeld



Gabriele Nußberger, Konzertmeisterin und Dirigentin Kammerorchester Kaarst


Michael Becker, Intendant Tonhalle Düsseldorf


Dr. Hella Bartnig, Chefdramaturgin Deutsche Oper am Rhein