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„Musik im Gespräch!“(07/08 2013)

Oskar Gottlieb Blarr: „Drei Grundtöne sind in der Fuge meines Lebens verborgen!“

Oskar Gottlieb Blarr: „Drei Grundtöne sind in der Fuge meines Lebens verborgen!“

Foto: Privat

Das ist Oskar Gottlieb Blarr: Hut und Pfeife (manchmal auch eine gute Zigarre) sind für ihn „Insignien eines freien Mannes“. 1934 in Sandlack (Ostpreußen) geboren, studierte er Komposition bei Bernd Alois Zimmermann, Krzysztof Penderecki, Milko Kelemen und Günther Becker, er war Kantor an der Düsseldorfer Neanderkirche (1961-1999) und lehrte als Honorarprofessor an der Robert Schumann Hochschule. Oskar Gottlieb Blarr ist Schöpfer von gut 100 Kompositionen - darunter 4 Sinfonien, 1 Oper, 3 Konzerte mit Orchester, 4 Oratorien, Kammer- und Orgelmusik sowie 24 Kantaten und Kirchenlieder. Durch seine Persönlichkeit und durch seine Arbeit hat der international renommierte Komponist und Organist das Musikleben in Düsseldorf nachhaltig beeinflußt und gefördert.

Oskar Gottlieb Blarr - der Düsseldorfer Komponist und Organist im Gespräch mit unserer Redaktion.

Können Sie sich an Ihre früheste Begegnung mit der Musik erinnern?

Oskar Gottlieb Blarr: Das sind die drei Grundtöne in der Fuge meines Lebens: Meine pietistische Großmutter, die Barockorgel in Bartenstein (Ostpreußen) und die preußische Blasmusik. Meine Großmutter war eine fromme Frau, die den ganzen Tag sang, mir die Bibel und die schönen Kirchenlieder näher brachte, mich mit Zucker-Kaffee verwöhnte und an mein „Genie“ glaubte. Als Kind übte auf mich die Kreuzigungsgruppe in der uralten gotischen Kirche als unmittelbare Gegenwart von Jesus eine große Faszination aus. Auch hatte ich die Fantasie, daß Gott (und Jesus) in allen Dingen steckt - besonders in der Orgel einer Kirche. Daraus entstand später meine „Orgel-Theologie“. Das heißt: Die Orgel ist für mich immer noch „eine Stimme Gottes“. Und eine Blaskapelle ist für mich die Vorstellung von musikalischer Kraft, die „aus der Erde kommt“.

Welche musikalischen Vorbilder gab es für Sie?

Oskar Gottlieb Blarr: Unter den Klassikern vor allem Felix Mendelssohn als Künstler und Mensch. Von den Vätern der neuen Musik bedeuten mir der Russe Igor Stravinski und der Franzose Olivier Messiaen am meisten - mit Messiaen bin ich sogar mehrfach in Paris, Düsseldorf und Jerusalem zusammengetroffen. Von den lebenden Komponisten steht bei mir oben an der Deutsche Wolfgang Rihm in seiner Sprache und seiner Ausdrucksstärke. Und als Dirigentenpersönlichkeiten möchte ich Dean Dixon und Herbert von Karajan erwähnen.

Wie beschreiben Sie Ihre eigene Musikentwicklung als Komponist und Organist?

Oskar Gottlieb Blarr: Zusammen mit anderen musikalischen Zeitgenossen wollten wir in den sechziger Jahren die neue, moderne Musik aus ihrem Ghetto der Radio-Nachtprogramme herausholen. Düsseldorf mit seiner ständig vorhandenen „kreativen Betriebstemperatur“, wie ich das immer erlebt habe und noch erlebe, war der ideale Ort für mich. Mehrere Kompositionen wie etwa meine 4. Sinfonie „Kopernikus“ (2011) haben - wie hier die Düsseldorfer Tonhalle - einen Bezug zu meinem Lebensraum und zur heutigen Zeit.

Worin sehen Sie Ihre Beziehung zum Christentum?

Oskar Gottlieb Blarr: Ich favorisiere eine jesuanische Haltung, welche die Spaltung zwischen Juden und Christen überwindet.

Worin sehen Sie den Unterschied zwischen geistlicher und weltlicher Musik?

Oskar Gottlieb Blarr: In den gesellschaftlichen Funktionen, z.B. als populäre Tanz- und Unterhaltungsmusik. Geistliche Musik ist eher an religiöse Vorstellungen und Praktiken (Rituale) gebunden. Weltliche Musik als Kunst-Musik ist dagegen universalistisch und philosophisch ausgerichtet - wie z.B. meine Serenade für Klarinette und Streichquartett „Die Kürbishütte“ (1982) zu Ehren des Barockdichters Simon Dach. Die Grenzen zwischen geistlicher und weltlicher Musik als Kunst sind für mich fließend.

Worin sehen Sie den Unterschied zwischen katholischer und evangelischer Kirchenmusik?

Oskar Gottlieb Blarr: Während sich die katholische Kirchenmusik an der Messe mit ihren Teilen Ordinarium und Proprium orientiert, ist die evangelische Kirche eine „singende Gemeinde“, die auf Psalmen und dem gesungenen Evangelium gegründet ist. Martin Luther hat ja den lateinischen Choral übersetzt, aber auch das deutsche Volkslied mit einbezogen.

Die „Europa-Orgel“ der Firma Rieger in der Neander-Kirche.

Foto: Friedemann Fey

Worin besteht für Sie die Besonderheit der Düsseldorfer Neanderkirche und ihrer Orgel?

Oskar Gottlieb Blarr: Die Neanderkirche von 1683 ist die älteste evangelische Kirche in Düsseldorf, gewissermaßen unsere Mutterkirche. Auch wenn dieser Bau im Hinterhof steht, so ist sie ein sehr offenes Gotteshaus. Sie ist relativ klein, hat aber durch das Tonnengewölbe eine ausgezeichnete Akustik, so daß weder zarte Töne verloren gehen, noch kräftige Klänge die Zuhörer erschlagen. 1965 erfolgte der Orgel-Neubau mit der Klangvorstellung „Europa“. Das heißt: Das klangliche Konzept dieser von der Firma Rieger (Österreich) errichteten Orgel basiert auf dem Gedanken einer Synthese der klassischen europäischen Orgellandschaften: Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien. Um dieses Versprechen einzulösen, waren auch erhebliche Reise-Recherchen erforderlich. In wesentlich erweiterter Form wurde später von der Firma Wilhelm Sauer (Frankfurt a.d. Oder) die Orgel in der Oberkasseler Auferstehungskirche als „Europa-Orgel“ geplant und gebaut. Sie ist die jüngere und voluminösere Schwester der Neander-Orgel. Sie trägt den Namen von Felix Mendelssohn und ist für mich ein klingendes Mendelssohn-Denkmal.

Jetzt im Juli feiern Sie das 50jährige Bestehen der „Sommerlichen Orgelkonzerte“. Wie kam es damals zur Begründung dieses Zyklus?

Oskar Gottlieb Blarr: Das Besondere dieser Reihe ist, daß neben Gästen aus der ganzen Welt, vor allem Düsseldorfer Kantoren spielen. Honoris causa! Unter dem Motto: „Gutes tun durch Orgelspiel“ haben wir - gerade in Zeiten der deutschen Teilung - aus den Kollekten auch unsere Kollegen im anderen Deutschland finanziell unterstützt, damit sie Noten kaufen und Orgelreparaturen bezahlen konnten. Nach wie vor gehen Kollekten nach Jerusalem, nach Polen, Litauen, zur deutschen Gemeinde in Rom und sogar nach Chile. Typisch für das Programm der „Sommerlichen Orgelkonzerte“ ist ihr kommunikativer Charakter etwa in den Kombinationen: Orgel und Dudelsack oder Orgel und Alphorn. Dazu gehören Schallplattenpremieren wie „Orgelstadt Düsseldorf“, „Bartok auf der Orgel“ und „Bilder einer Ausstellung“. Natürlich gab es auch ganz „solide“ klassische Programme. Normalerweise sind Orgelkonzerte nicht der Renner, aber die „Sommerlichen Orgelkonzerte“ in der Neander-Kirche sind nach wie vor bestens besucht.

Sie schreiben an einem Buch mit dem Titel „3 mal neu - 40 Jahre Musik im Hinterhof“

Oskar Gottlieb Blarr: So heißt der Titel meines Buches über neue Musik in Düsseldorf, das ich der Stadt zu ihrem 725. Jubiläum schenke. Mit „Hinterhof“ ist die Neanderkirche an der Bolkerstraße gemeint, in der von 1972 bis 2013 jährlich ein Zyklus mit Musik der Gegenwart stattfand. Am 8. November soll das Buch fertig sein. Mit dieser Veröffentlichung möchte ich mich auch im Namen meiner Komponisten-Kollegen sehr herzlich bei meiner Kirche und bei meinem jungen Kollegen und Nachfolger, Sebastian Klein, sowie beim Kulturamt für die Unterstützung dieses Forums für neue Musik in unserer schönen Stadt Düsseldorf bedanken.

Sie haben mehr als 100 musikalische Werke komponiert - und aufgeführt. An welche dieser Kompositionen erinnern Sie sich besonders gern - und warum?

Oskar Gottlieb Blarr: Die „Jesus-Passion“ (1981-84) ist schon ein wichtiges Stück. Die Premiere fand 1985 auf dem Evangelischen Kirchentag in der Düsseldorfer Johanneskirche statt. Bis heute gab es 23 Aufführungen, darunter auch eine in Reykjavik (Island) in der riesigen Hallgrims-Kirche sowie zwei Aufführungen in der Erlöserkirche in der Altstadt von Jerusalem. Zu meiner großen Freude waren da auch die bedeutenden jüdischen Lehrer Schalom Ben Chorin und David Flusser anwesend sowie mein inzwischen verewigter Freund, der große israelische Komponist Josef Tal.

An welchen Kompositionen arbeiten Sie zur Zeit?

Oskar Gottlieb Blarr: Es sind drei Werke, darunter zwei Orgel-Kompositionen, gedacht als musikalische Widmungen für zwei befreundete Kollegen: Luigi Ferdinando Tagliavini in Bologna (Italien) und Gregori Estrada im Kloster Montserrat (Spanien). Am 20. Dezember 2013 gibt es dann in der Düsseldorfer Tonhalle die Neufassung meines „Magnificats“ (1965), das Bernd Fugelsang mit seiner „Camerata Louis Spohr“ aufführen wird.


Das Gespräch führte
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg