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„Musik im Gespräch!“(09/10 2018)

Gabriele Nußberger: „Ein See und Berge verkörpern für mich eine ungeheure Kraftquelle – auch als Musikerin!“

Gabriele Nußberger: „Ein See und Berge verkörpern für mich eine ungeheure Kraftquelle – auch als Musikerin!“

Die Geigerin, Konzertmeisterin und Dirigentin Gabriele Nußberger liebt und genießt das Besondere in der Einzel- und in der Zusammenschau – ob in der Natur oder mit Musikern: ob mit Instrumentalisten oder Chorsängern, ob mit Profis, Amateuren oder jugendlichen Preisträgern!

Interviewgast:

Die Geigerin, Konzertmeisterin und Dirigentin Gabriele Nußberger kommt ursprünglich aus München und erhielt dort ihren ersten Unterricht sowie in Würzburg. Nach dem Musikstudium in Stuttgart und ersten beruflichenSchritten in der Württembergischen Philharmonie zog sie nach Köln, um bei Concerto Köln zu spielen, was auch einen Wechsel von der modernen Geige zur Barockvioline bedeutete. Besondere musikalische Anregungen erhielt sie von John Eliot Gardiner, Peter Neumann, René Jacobs, Axel Kober und Kent Nagano. Als Konzertmeisterin der AccademiaFilarmonica Köln und dem Barockorchester Essen begeistert sie die Chöre und SängerInnen, mit denen sie Werke vom Barock bis zur Klassik zur Aufführung bringt. Auch konzertiert sie mit der Neuen Düsseldorfer Hofmusik. Seit 2016 dirigiert sie ebenfalls mit großer Begeisterung und Hingabe das Kammerorchester Kaarst, ein Amateurensemble. Neben ihrer Konzerttätigkeit gibt Gabriele Nußberger außerdem Kammermusik- und Orchesterkurse.


Musikalische Begleitung:

Das Aachener Gitarrenduo mit Julian Walter-Nußberger und Martin Friese hat sich darauf spezialisiert, Kompositionen aus Barock, Renaissance und Moderne, die ursprünglich für Orgel, Cembalo oder Laute geschrieben sind, auf zwei Gitarren zu übertragen. Auf diese Weise verbinden die beiden Künstler Virtuosität und zeitgenössische Gitarrentechnik mit der Idee des Originals. Unter dem Programmtitel „Guitar Avantgarde“ entfalten sie einen völlig eigenständigen und neuen Charme! Die beiden Musiker sind Absolventen der Kölner Musikhochschule (Prof. Hans-Werner Huppertz) und mehrfache Preisträger sowie Festival-Mitwirkende und Artists in Residence (USA 2017). Bei Konzerten freuen sie sich außerdem, über ihre besondere Arbeit und deren Hintergründe auch zu sprechen.

www.youtube.com, Aachener Gitarrenduo

aachener.gitarrenduo [at] gmail.com

Die beiden Gitarristen gestalteten am 31. Juli das musikalische Rahmenprogramm mit folgenden Werken:

Pierre Petit: Toccata für 2 Gitarren

Johann Sebastian Bach: Orgel-Triosonate Nr. 6 (Bearbeitung für 2 Gitarren)

Mario Castelnuovo-Tedesco: Sonatina Canonica

Egberto Gismonti: Agua y Vino


Interview:

Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit der Musik erinnern?

Eigentlich nicht. Woran ich mich allerdings erinnern kann: Irgendwann im Kindergartenalter bin ich zum Geigenunterricht gegangen – das weiß ich noch sehr genau. Es war in Würzburg, und ich bekam eine typische, kleine Kindergeige in die Hand gedrückt. Das fand in einer Art Musikschule statt, wo ich mit vielen anderen Kindern gleichzeitig „geigte“. Dieser Massen- oder Gruppenunterricht hielt nicht so sehr lange an. Offensichtlich hatte der Lehrer gemerkt, dass ich doch nicht so sehr für eine große Unterrichts-Gruppe geeignet war. Es ging dann zu dritt in einer kleinen Gruppe weiter, die aus der Tochter des Geigenlehrers, aus meinem Bruder und aus mir bestand.

Was ich damals natürlich überhaupt nicht wissen konnte: Dieser Geigenlehrer war Egon Saßmannshaus (1928–2010), ein bedeutender Geiger und Bratschist sowie später ein bekannter Kinder-Musikpädagoge. Er leitete in den 1970er Jahren die Sing- und Musikschule Würzburg und entwickelte schon früh eigene Unterrichtsmaterialien für Kinder, die er erstmals 1974 im Bärenreiterverlag veröffentlichte. Immer noch weit verbreitet ist übrigens seine Geigenschule „Früher Anfang auf der Geige“. Es erschienen mehrere Folgebände sowie Schulen für Bratsche und Cello. Dieses Schulwerk wurde im Laufe der Zeit zur besten Streicherlehrmethode im deutschsprachigen Raum. Es wurde zudem ins Italienische, Chinesische und Englische übersetzt.

Dann haben Sie ja – ohne es zu wissen – bei einem Pionier der musikalischen Früherziehung Unterricht genossen?

Saßmannshaus war mein erster Geigenlehrer, der damals sicher noch nicht bekannt war. Das wurde er dann erst später. Zusammen mit seiner Tochter und meinem Bruder waren wir gewissermaßen – ohne das geringste davon zu merken – Versuchskaninchen für sein späteres Schulwerk. Es gründet(e) auf der Methode, Kindern das Geigespielen zu vermitteln, die noch nicht lesen, rechnen oder schreiben können – geschweige denn, mit Musiknoten umgehen können. Die Tochter von Saßmannshaus war damals 2, während ich schon 5 Jahre alt war. Er gab uns Blätter, auf denen er den Übungs- und Lehrstoff in einer für uns verständlichen Art und Weise kindgerecht „sichtbar“ machte. Es muss wohl so gewesen sein, dass er aus dieser Sammlung von didaktischen Blättern und aus seiner Erfahrung dann dieses Lehrwerk nach und nach hergestellt hat, was sich mir damals aber nicht weiter mitteilte.

Wie sehen Sie das im heutigen Rückblick?

Rückblickend entsprach dieser erste Geigenunterricht in der Methode dem, was man später und heute „musikalische Früherziehung“ nennt, die inzwischen (mit unterschiedlichen Ausrichtungen) sehr populär geworden ist. Im Nachhinein bin ich natürlich sehr glücklich und dankbar für diese besondere erste Begegnung mit der Geige! Hinzu kommt, dass ich in einer musikalischen Umgebung aufgewachsen bin, wo mehrere Kinder ein Instrument spielten und das Üben zur Selbstverständlichkeit gehörte – wie auch bei uns zu Hause, wo meine Mutter dann oft das Geige-Spielen von zwei Kindern teilweise gleichzeitig aushalten musste!

Das Aachener Gitarrenduo mit Julian Walter-Nußberger (links) und Martin Friese hat sich darauf spezialisiert, Kompositionen aus Barock, Renaissance und Moderne, die ursprünglich für Orgel, Cembalo oder Laute geschrieben sind, auf zwei Gitarren zu übertragen.

Wie verlief Ihre Musikausbildung dann weiter?

Meine Eltern zogen irgendwann nach München – etwa, als ich in der zweiten Klasse war. Hier erhielt ich zusammen mit meinem Bruder – wir waren immer im Doppelpack – zunächst bei einer sehr strengen Lehrerin Geigenunterricht. Das einzig Positive in meiner Erinnerung war, dass die dicke Angorakatze dieser Dame es sich in meinem Geigenkasten während der Unterrichtsstunde immer behaglich machte! Einige Zeit später wurde der Unterricht bei einer älteren Dame im Sinne einer Rundum-Betreuung fortgesetzt. Da haben wir vor allem die gesamte Literatur für Geigen-Duos durchgespielt wie Duette, Doppelkonzerte, große kammermusikalische Duos – etwa bis zu Max Reger. Hier hatten wir auch Gelegenheit, unser jeweiliges Können einem begrenzten Publikum vorzuführen, was sehr angenehm und praktisch war! Aufregend war dabei, dass unsere Geigenlehrerin dann meist im Publikum saß und sehr nervös auf ihrem Platz hin und her rutschte. In der Pause wollte sie uns hinter der Bühne mit Apfelschnitten verwöhnen, was mein Bruder und ich aber ablehnten, weil wir der Meinung waren, unsere Geigenlehrerin könnte das Obst – aus eigener übertriebener Nervosität – mit Baldrian beträufelt haben, um uns zu beruhigen!

Haben Sie auch Straßenmusik gemacht?

Ja, da waren wir schon ein wenig älter. Diesen Aktivitäten lagen Anregungen und Empfehlungen unseres damaligen Lehrers zugrunde, der uns animierte, auch mal was anderes zu probieren – auch mal ein anderes Instrument in die Hand zu nehmen und spontan vor fremdem Publikum zu spielen. Und schon waren wir ein Streichquartett und haben in München an der Seite des Marienplatzes (neben dem Rathaus) unter einem Baum öfter Straßenkonzerte gegeben mit stilistisch leichterer, salonartiger Musik. In unmittelbarer Nähe war eine Musikalienhandlung, so dass die Leute, die dort hinwollten, an uns vorbei gehen mussten. Von den geringen Einnahmen sind wir dann anschließend quietschfidel Eis essen gegangen! So gewinnt man als Musikerin natürlich auch eine gewisse Unbefangenheit im Umgang mit der Musik und dem Publikum!

Beschreiben Sie bitte die wesentlichen musikalischen Entwicklungsschritte innerhalb Ihrer Studienzeit.

Als meine Eltern – eigentlich sehr aufgeschlossene Menschen – merkten, dass es mit meinem Wunsch, Musik (also Geige) zu studieren, ernst werden könnte, waren sie zunächst doch etwas zurückhaltend. Durch Vermittlung im Bekanntenkreis vereinbarten Sie bei einem Geigenprofessor einen Termin, nahmen mich mit und interviewten ihn eifrig – in meiner Gegenwart – nicht nur nach den Licht- und Schattenseiten eines Musikstudiums, sondern z.B. nach den konkreten Aufgaben: Was ist ein Orchestermusiker, wie sieht sein Werdegang aus? Was ist ein Musikpädagoge? Meine Eltern haben sich alles sehr genau erklären lassen. Nach dieser besonderen Studienberatung waren sie dann doch sehr gefasst und beruhigt. Und ich musste mich nicht gegen irgendwelche Bedenken oder Widerstände von ihrer Seite durchsetzen.

Hätte es für Sie auch andere Studienfächer als die Musik gegeben?

Eigentlich hatte ich ursprünglich gar nicht an Musik gedacht, sondern wollte Archäologie und die alten Sprachen studieren. Ich besuchte ein Gymnasium mit humanistischem Zweig, habe also Latein und Altgriechisch sehr intensiv gelernt. Das war eine große Leidenschaft! Gerne wäre ich auf diesem Gebiet Forscherin geworden, war schon an der Universität in München eingeschrieben und hatte mir auch schon die Kurse für Hebräisch herausgesucht. Da erst fragte mich mein Geigenlehrer, ob ich nicht Musik (also Geige) studieren wolle. Darauf habe ich mich umbesonnen, mich auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet – und los ging es!

Und wo blieb Ihre Unbefangenheit?

Nach bestandener Aufnahmeprüfung war von der ursprünglichen Unbefangenheit vor dem Studium zunächst leider nur wenig zu spüren. Was mir dabei gar nicht gefiel, war ein ungesundes Konkurrenzverhalten der Studenten untereinander, was ich so überhaupt nicht kannte. Ich hatte dann längere Zeit immer noch die Hoffnung, ich würde mir so heftig in den Finger schneiden, so dass es mit dem Musikstudium zu Ende wäre. Heutzutage erlebe ich das Zusammenwirken von Musikstudenten ganz anders – die gehen sehr kollegial miteinander um!

Gabriele Nußberger gibt auch Kurse für Kammermusik und Orchester: „Hierbei können z.B. Vorurteile überwunden werden, wenn jemand etwa sagt, Henry Purcell sei langweilig. Und dann merken die Spieler plötzlich, dass da doch sehr viel Feuer und auch Raffinesse drinsteckt!“

Welche positiven Erfahrungen konnten Sie während Ihres Musikstudiums sammeln?

Es waren weniger die Professoren, von denen ich etwas lernen konnte. So erinnere ich mich an einen Studenten, der Cembalo studierte und mich in ganz viel fundamentaler Kleinarbeit dafür begeisterte, dass es so etwas wie Alte Musik gibt. Dass es so etwas gibt wie Barockmusik oder einen speziellen Barockbogen. Dass es für Streichinstrumente auch Darmsaiten gibt, oder dass es für Tasteninstrumente auch andere Stimmungen gibt als nur die übliche wohltemperierte. Er besaß außerdem eine riesige Sammlung an Vinyl-Schallplatten, um mir besondere Aufnahmen vorzuführen. Selbstverständlich haben wir zusammen auch viel Barockmusik gespielt, und er war stolz darauf, endlich eine „Geige“ als musikalische Partnerin gefunden zu haben! Diese tollen Erfahrungen mit Alter Musik haben mich dann auch ermuntert, immer wieder Barock-Spezialisten aufzusuchen und von ihnen im professionellen Sinne zu lernen. So habe ich mir dann einen Barockbogen und auch eine zweite Geige (als Barockgeige) angeschafft.

Beschreiben Sie bitte Ihre musikalische Entwicklung nach dem Studium von der Kammermusik- und Orchester-Geigerin zur Konzertmeisterin – und bis zur Dirigentin.

Während meines Studiums war es mir eigentlich klar, dass ich irgendwann Orchestermusikerin werden würde. Ich liebe es nun einmal, mit einem Ensemble zusammen zu wirken und mich dort musikalisch auszutauschen und auszudrücken. So bin ich – nach einem Vorspiel – bei der Württembergischen Philharmonie in der Nähe von Tübingen gelandet. Das ist wirklich ein sehr angenehmes und freundliches Ensemble. Was mir da aber nicht gefiel, war die Mentalität eines Tarif-Orchesters. Das heißt, man sitzt auf einem recht guten, finanziellen, vertraglichen Polster. Man geht aber nicht zur Probe oder zum Konzert, sondern man geht zum „Dienst“ – eigentlich ein furchtbares Wort! So dass ich irgendwann sehr froh war, vom Concerto Köln aufgenommen zu werden.

Was war dort anders?

Dieses Orchester arbeitet sehr eigenverantwortlich. Das heißt: Jeder Musiker sitzt auf der vordersten Stuhlkante und gibt – egal ob Probe oder Konzert – sein Bestes. Für einen freiberuflichen Musiker ist es nun mal unverzichtbar, dass man sich nie hängen lassen darf, dass man immer voll dabei ist. Andernfalls besteht die Gefahr, dass man beim nächsten Konzert nicht mehr dabei ist, was in der freien Szene üblich ist. Maximaler Einsatz und großes Engagement sind hier lebenserhaltend. Erhaltend für einen selbst, weil man so das nächste Engagement erhält – und erhaltend natürlich auch für das Ensemble, damit es Lebendigkeit und Frische ausstrahlt, was das Publikum liebt und merkt!

Wie kamen Sie zur Kammermusik?

Von hier aus ist der Weg zur Kammermusik nicht weit. Man trifft gleichgesinnte Musiker im kleinen Rahmen. Es gilt grundsätzlich dasselbe wie in einem guten Orchester mit motivierten Musikern – es ist allerdings alles noch ein wenig intensiver und mit viel Arbeit verbunden. So habe ich 16 Jahre zusammen mit einer Flötistin, einer Cellistin und einem Cembalisten als Ensemble „Musica Solare“ konsequent Kammermusik betrieben. Das hat sehr viel Freude gemacht, und ich habe sehr viel dabei gelernt! Das ist ein sehr enges und intensives Zusammenspiel, man kennt sich verdammt gut, auch die Stärken und Schwächen – man ist fast miteinander verheiratet! Und man muss schon aufpassen, wie man jemanden kritisiert. Es hat ja auch so lange gehalten!

Was versteht man unter einer Konzertmeisterin?

Als freischaffender Orchestermusiker ist man meist darauf angewiesen, in mehreren Ensembles zu spielen. Von einem einzigen Orchester kann man da nicht leben. Bei Gründung der Accademia Filarmonica Köln war ich zunächst „nur eine Geige“. Der Konzertmeister, den es dort gab, zog plötzlich weg, so dass das Orchester keinen Konzertmeister mehr hatte. Sein Aufgabengebiet interessierte mich aber. Also: Der Konzertmeister, oder die Konzertmeisterin, gehört zur Gruppe der ersten Geigen und sitzt ganz vorne – vom Publikum aus gesehen – links direkt neben dem Dirigenten. Der Konzertmeister leitet im Grunde das Orchester, wenn der Dirigent gerade nicht da ist. Und wenn der Dirigent anwesend ist, dirigiert und zeigt – so schauen die Orchestermitglieder mit einem Auge aber immer auf den Konzertmeister, auf die Konzertmeisterin.

Vor seinem Musikstudium studierte Julian Walter-Nußberger Physik und legte darin seinen Bachelor-Abschluss ab.

Ist der Konzertmeister so etwas wie ein Dolmetscher?

Man hat als Konzertmeister die wichtige Aufgabe, zwischen dem Dirigenten und dem Orchester zielorientiert zu vermitteln und für ein Einverständnis zwischen beiden Seiten zu sorgen. Dies gilt auch für Fragen aus dem Orchester, die nicht an den Dirigenten direkt gerichtet werden, sondern über die Instanz der Konzertmeisterin. Die Zuständigkeiten im Orchester und zwischen Orchester und Dirigent müssen – im Sinne einer Arbeitsteilung – ganz klar definiert sein, damit ein erfolgreiches Zusammenwirken von so vielen Menschen überhaupt stattfinden kann. Eine kleine Anekdote hierzu: Ein Dirigent gab einmal einen völlig falschen Einsatz. Er hatte sich im Stück geirrt, so dass niemand Bescheid wusste, was zu tun war. Auf seinen Einsatz hin habe ich mich als Konzertmeisterin dann überhaupt nicht bewegt, so dass das Orchester keinen einzigen Ton spielte. Zum Glück bemerkte der Dirigent seinen Fehler, und es ging von Neuem los! Es ist also schon eine sehr große Verantwortung, die man als Konzertmeister hat.

Und wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Dirigentin?

Es liegt mir nun einmal, dass ich immer wieder neue Sachen ausprobieren muss! Nun, als Konzertmeisterin sitze ich ja ganz in der Nähe des Dirigenten/der Dirigentin und kann so sehr genau erfahren, warum ein Dirigat klappt oder auch nicht. Das ist so wie bei der „Sendung mit der Maus“ nach dem Motto „Ich möchte mal wissen, wie das geht!“ Ich habe dieses Wechselspiel zwischen Dirigent, Orchester und Konzertmeister lange Zeit beobachtet, bevor ich die Entscheidung traf, auch diese Aufgabe erlernen zu wollen. Ich habe dann einen Dirigenten gefunden, der mir die Seiten seines Berufes sehr geduldig und nachhaltig gezeigt und erklärt hat. Das Witzige ist ja, dass durch die gestischen Bewegungen eines Dirigenten kein einziger Ton erzeugt wird! Es bleibt alles stumm. Bei den Dirigier-Bewegungen muss man gleichzeitig an das ganze Orchester denken, einzelne Stimmgruppen wie die Celli vor ihrem Einsatz freundlich anschauen und eventuell mit dem Ellenbogen gleichzeitig auch noch die ersten Violinen führen. Eine spannende Aufgabe!

Seit fast zwei Jahren dirigieren Sie das Kammerorchester Kaarst und treten gelegentlich auch mit ganz jungen Solisten auf.

Als letzter Auftritt mit dem Kammerorchester Kaarst fand am 1. Juli 2018 ein Konzert mit Preisträgern von „Jugend musiziert“ statt, was wir im Jahr zuvor auch schon gemacht hatten. Das sind blutjunge Leute, teilweise 14 bis 16 Jahre alt, die aufgrund ihrer Erfahrungen schon sehr stresserprobt sind. Sie sind in der Lage, ihre Konzertstücke auf den Punkt vorzubereiten und „abzuliefern“, ohne dabei in Hektik oder Nervosität zu verfallen. Als Dirigentin – natürlich auch mit dem Orchester – kann ich mich auf diese Stabilität vollständig verlassen, was sehr gut ist und den Blick frei macht für das Eigentliche, für die Musik. Wenngleich diese jungen Musiker noch nie mit einem Orchester gespielt haben. Sie kennen normalerweise nur die Klavierbegleitung, was so üblich ist. Der Umgang mit einem großen Klangapparat wie dem Orchester ist dann noch ungewohnt. Bei den Proben ist es dann meine Aufgabe, diese jungen Preisträger praktisch mit dem Orchester musikalisch „bekannt“ zu machen, bevor das Konzert stattfindet. Und das Orchester ist dann auch so wach, dass sich beide – Solist wie Orchester – von mir gut führen lassen können.

Was gefällt Ihnen besonders an diesem Orchester? Was bedeutet diese Arbeit für Sie – und die Musiker?

Und das ist auch eines der wesentlichen positiven Merkmale, dass man mit dem Kammerorchester Kaarst als Dirigent sehr, sehr gut arbeiten kann: Diese Musiker sind ungeheuer wach und aufmerksam! Meine Anregungen werden im Allgemeinen sehr positiv aufgenommen. Zum Beispiel hatten wir neulich eine Suite von Henry Purcell im Programm. Da ist es wichtig, dass diese Musik nicht wie Brahms klingt. Genauso ist es auch mit Komponisten anderer Epochen wie Britten, Janacek oder Mozart. Hierbei geht es auch immer um eine spezielle Spieltechnik, Klangfarbe und Struktur, die dem Werk eines Komponisten gerecht werden muss. Und auch bei dieser Arbeit gehen die Musiker dieses Orchesters immer sehr gut mit. Auch bei der jüngsten Einstudierung eines Werkes von Arvo Pärt konnten sich die Orchestermitglieder – zu meiner großen Freude – ganz großartig auf diese besondere Musik einstellen.

Wann findet das nächste Konzert statt?

Am 2. Dezember: Atrium im Rathaus Kaarst mit adventlicher Musik auf modernen Instrumenten, aber in „historischer“ Spielart – mit Werken u. a. von Francesco Manfredini, Arcangelo Corelli, aber auch von Arvo Pärt und sogar von Max Bruch die „Serenade nach schwedischen Volksmelodien für Streichorchester“. Und nicht zu vergessen ein Cembalokonzert in A-Dur von Johann Sebastian Bach (BWV 1055) in der Bearbeitung für Oboe d’Amore mit Bernd Peter Fugelsang als Solisten, den Sie sicherlich als Dirigent der Düsseldorfer Camerata Louis Spohr schon kennen!

Wie könnte sich in der Zukunft Ihr Verhältnis zu dem Kammerorchester Kaarst weiterentwickeln?

Was mir dabei sehr am Herzen liegt, ist, dass wir in der Region eigentlich recht gut vernetzt sind und dies weiterentwickeln wollen – einmal durch Zusammenarbeit etwa mit Preisträgern des Wettbewerbs „Jugend musiziert!“, dann eine Kooperation mit verschiedenen Solisten wie bisher oder auch gemeinsame Konzerte mit Chören aus der Region.

Neben der klassischen Gitarre hat sich Martin Friese im Unterricht mit dem Kölner Jazzgitarristen Bruno Müller auch mit der Gitarre in der Popularmusik auseinandergesetzt.

Sie geben außerdem Kurse für Kammermusik und Orchester – ist dies eine Art Coaching?

Das mache ich schon viele, viele Jahre. Es handelt sich dabei meist um Ensembles, die völlig normal auf ihren modernen Instrumenten spielen. Wenn sie dann z.B. eine Mendelssohn-Sinfonie, ein Rachmaninov-Klavierkonzert oder eine Suite von Händel proben und spielen wollen, kann die Gefahr bestehen, dass sich Werke sehr verschiedener Komponisten stilistisch alle gleich anhören. Dann bitten sie mich, an einigen ihrer Proben teilzunehmen und fragen mich als Spezialistin für Alte Musik, wie man das technisch und stilistisch lösen kann. Es soll dann so klingen, wie etwa Concerto Köln, Düsseldorfer Hofmusik, Freiburger Barockorchester usw. Das ist eine sehr schöne Aufgabe, die ich da für Amateur-Ensembles oder semiprofessionelle Orchester übernehme. Die Musiker lassen sich dazu gerne anregen. Dabei können auch Vorurteile überwunden werden, wenn jemand etwa sagt, Henry Purcell sei langweilig. Und dann merken die Spieler plötzlich, dass da doch sehr viel Feuer und auch Raffinesse drinsteckt. Coachings mit Kammermusik-Ensembles laufen übrigens sehr ähnlich.

Gibt es für Sie auch ein Leben außerhalb der Musik?

Ich habe viele Interessen und Aktivitäten – ich kann kaum stillsitzen! Lange Zeit habe ich ein Ehrenamt ausgeführt und war ca. 15 Jahre politisch aktiv, davon 12 Jahre im Stadtrat. Das war für mich eine lange und auch positive Zeit. Ich wurde hier mit Problemen und Themen konfrontiert, die ich sonst wahrscheinlich nie kennen gelernt hätte! Als Musiker oder Musikerin sitzt man doch oft eher auf einer rosafarbenen Wolke, nimmt Applaus entgegen, sitzt auf der Bühne, hat ein schönes Kleid an usw. Es ist eigentlich immer schön, was man macht. Aber von den ganz normalen Sorgen und Nöten vieler Menschen erfährt man vielleicht – wenn überhaupt – nur aus der Zeitung.

In der Lokalpolitik hat man aber mit allem zu tun. Das geht vom Gullydeckel bis zum abgeholzten Baum, bis zum Streik im Kindergarten, bis zur Umgehungsstraße, bis zur Müllverbrennung. Man hat wirklich mit allem zu tun. Diese Arbeit finde ich großartig, weil das alles einen auf den Erdboden zurückholt. Das ist ein Auftrag und eine Verantwortung für die Bevölkerung – man ist ja schließlich gewählt worden. Hier kam jedoch dann das Kammerorchester Kaarst dazwischen, weil die Proben nur montags sind und sein können – der Stadtrat mit den Fraktionssitzungen aber ebenfalls auch nur montags tagt. Da habe ich mich aber dann doch für die Orchesterleitung entschieden und meinen Sitz im Stadtrat – schweren Herzens – an den nächsten Kollegen abgegeben! Als besonderes Privatvergnügen betreibe ich außerdem gerne Sport und renne die Berge rauf und wieder runter!

Das Interview führte
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Fotos: Thomas Kalk.

Gabriele Nußberger und Hartwig Frankenberg beim Gespräch am 31. Juli 2018 in der Musikbibliothek Düsseldorf.

Programm-Vorschau:

Sonntag, 02.12.2018, 17:00 Uhr, Atrium im Rathaus Kaarst, Am Neumarkt 2. Das Kammerorchester Kaarst spielt unter Leitung von Gabriele Nußberger adventliche Musik auf modernen Instrumenten in historischer Spielart mit Werken von Francesco Manfredini, Arcangelo Correlli, Avo Pärt, Max Bruch und Johann Sebastian Bach. Solist auf der Oboe d’Amore ist Bernd Peter Fugelsang.

Profil des Kammerorchesters Kaarst:

1989 gegründet, gehört das Kammerorchester Kaarst seit fast 30 Jahren zur musikalischen Landschaft der Stadt Kaarst. Das Orchester spielt vorwiegend klassische kammermusikalische Werke. Im Gründungsjahr lag die musikalische Ausrichtung zunächst in der Salonorchestermusik. Von 1996 bis 2009 übernahm Ingo Willing die Leitung. Mit ihm verlagerte sich die Ausrichtung zur Interpretation klassischer Werke. Nach Tobias van de Locht (2010) übernahm 2011 Heinz Klaus die Orchesterleitung und führte die klassische kammermusikalische Ausrichtung fort. Mit Gabriele Nußberger hat das Kammerorchester Kaarst seit November 2016 eine Musikalische Leiterin, die den Fokus auf die historische Aufführungspraxis über alle Epochen hinweg richtet. Musiker, die ein Streichinstrument spielen und gerne in einem Orchester mitwirken wollen, sind herzlich willkommen! (www.kammerorchester-kaarst.de

INTERVIEWREIHE „MUSIK IM GESPRÄCH“: WEITERE TERMINE 2018 / 2019

Zeit: 20:00 Uhr

Ort: Zentralbibliothek / Musikbibliothek / Lesefenster

Bertha-von-Suttner-Platz 1
40227 Düsseldorf


Michael Becker, Intendant Tonhalle Düsseldorf

Dr. Hella Bartnig, Chefdramaturgin Deutsche Oper am Rhein

Prof. Thomas Leander, Prorektor Robert Schumann Hochschule Düsseldorf

Miro Dobrowolny, Komponist und Dirigent

Julia Polziehn, Cellistin, Dozentin, Regisseurin