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Das Interview-Archiv

„Musik im Gespräch!“(09/10 2020)

Markus Goosmann, Pianist für populäre Musik, Background, Begleitung und Stummfilm: „Räume, die nach einer Aktion rufen, müssen mit dem gefüllt werden, was ich kann!“

Markus Goosmann, Pianist für populäre Musik, Background, Begleitung und Stummfilm: „Räume, die nach einer Aktion rufen, müssen mit dem gefüllt werden, was ich kann!“

Markus Goosmann, Pianist für populäre Musik, Background, Begleitung und Stummfilm.
FOTO: ROBERT FREUND

INTERVIEWGAST:

Markus Goosmann wurde 1966 in München geboren und wuchs in einem kulturell orientierten Elternhaus auf. Nach Klavier- und Ballettunterricht in der Kindheit folgten Abitur in Bonn und ein erstes Musikstudium an der Musikhochschule Köln – neben Klavier die Fächer Dirigieren, Musikgeschichte, Komposition und Arrangement. Der Ausbildung zum Orgelbauer und nach Restaurierung des eigenen Flügels schloss sich ein zweites Studium an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf an mit 2001 Abschluss Künstler- und Lehrerdiplom. Pianistische Impulse erhielt er dort von Prof. Roberto Szidon. Außerdem absolvierte Goosmann Meisterkurse bei Seymour Bernstein (New York) und im Bereich Jazz bei Bernd Lhotzky (München). Im Laufe der Jahre widmete er sich immer mehr – fast ausschließlich – der anspruchsvollen Unterhaltungsmusik. Konzertreisen führten ihn nach den Niederlanden, Frankreich, Israel, an die Ostküsten der USA und Kanadas, nach Brasilien und Chile sowie auf Kreuzfahrten per Schiff in die Antarktis. Als beliebter Klavierlehrer und erfolgreicher Klavierbegleiter arbeitet er mittlerweile von Düsseldorf aus. Zuweilen gastiert er als gefragter Stummfilmpianist im Filmmuseum Düsseldorf.


ANMERKUNG:

Anstelle der sonst üblichen musikalischen Umrahmungen während der öffentlichen Interviewabende in der Düsseldorfer Musikbibliothek sei auf die Links verwiesen, die auf der Homepage von Markus Goosmann sowie in der Rubrik „Digitale Konzerte“ im „Konzertkalender in+um Düsseldorf“ (Online-Ausgabe) zu finden sind. www.markusgoosmann.de


INTERVIEW:

Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit der Musik erinnern?

Aufgewachsen bin ich in einem kultivierten Elternhaus; meine Eltern legten großen Wert darauf, dass ich, sobald ich es konnte, genug zu Lesen hatte. Die Musik spielte eine große Rolle. Meine Mutter sang mir oft die Schlager ihrer Jugend vor wie „Regentropfen, die an mein Fenster klopfen“, „So ein Regenwurm hat’s gut“ oder „Es war einmal ein Musikus, der spielte im Café“. Der Musik begegnete ich von Anfang an sehr begeistert und aktiv: Kaum aus dem Laufstall, nahm ich mir in meiner Spielecke frühmorgens einen länglichen Bauklotz als Mikrophon und rappte die „Hitparade“.

Von Anfang an waren ebenfalls die vielen Musiksendungen im Fernsehen sehr inspirierend für mich: Wie mit der Chansonsängerin Greta Keller und Peter Kreuder. So erinnere ich mich etwa an die Inszenierung von „No, No, Nanette“ oder auch an die vielen Sendungen mit Catarina Valente sowie an die großen UFA- und TOBIS- Filme mit ihrer romantischen Filmmusik, die mich packte.

Wie erlebten Sie die Musik in der Schulzeit?

Ich bin evangelisch-lutherisch getauft und erzogen – ein Begriff, der in meiner Entwicklung ernst genommen wurde. So sangen wir in der gesamten Schulzeit viele Choräle u. a. von Paul Gerhardt, auch das bekannte Erntedank-Lied „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land“, nach dem Text von Matthias Claudius. Meine Mutter förderte diese spezielle Kultur – und so hatte ich 1975 (im Alter von neun Jahren) meine erste „Mucke“ vor dem Apostolischen Nuntius Monsignore Bruno Heim. Für meinen Gesang gab er mir 50 Pfennige, als er meine Eltern bei uns zuhause besuchte.

Schon bald nach dem Umzug meiner Familie (1972) von München nach Bonn, also zwischen meinem siebten und neunten Lebensjahr, nahm ich an einem schulbegleitenden Musikkurs teil, den Hilde Richter-Kendelbacher leitete. Später wurde sie meine Klavierlehrerin. Dies alles kam meiner gesamten Musikerziehung sehr zugute. Der Unterricht reichte vom kindlichen „Moldau-Dirigieren“ über ein wenig Orff-Schulwerk bis hin zum Lernen weiterer Lieder – wie „Jan der Kater“ oder „Kommt heut der Hans nach Haus, freut sich die Lies“.

Außerdem hatte ich zwei entzückende Toy-Pianos zur Verfügung: Das eine in Form eines Klaviers klang wie eine Celesta. Das andere sah aus wie ein kleiner Flügel und hatte in der Mittellage Farbmarkierungen, so dass ich, sobald mir die Tondauern bekannt waren, meine ersten Kompositionen mit Filzstift aufschreiben konnte.

Welche weiteren musikalischen Erfahrungen konnten Sie sammeln?

Im Alter von sieben Jahren wurde ich zum Ballettunterricht zu Hedda Adam-Semilassy geschickt. Schon ein Jahr später (1974) war Première im früheren Bonn-Center (Pantheon-Theater) mit dem Dreier-Stück „Das Veilchen“, inklusive Rezitation mit Text von Goethe und Musik von Chopin. Ich tanzte eine Kunstfigur, den Wind! Von dem Moment an, wo mich die Scheinwerfer blendeten und ich den Bühnenboden roch, stellte ich fest: Jetzt schauen Dir alle zu, und es kommt allein auf Dich und Deine Mitakteurinnen an. Da war ich zum „Bühnentier“ geworden – und bin es bis heute geblieben.

Ein Erlebnis zur weiteren Motivation: Mit neun Jahren besuchte ich im Deutschen Museum München den Saal mit den Tasteninstrumenten. Vor allem der Steinway-Welte-Flügel, das Reproduktionsklavier, mit der Aufnahmen-Rolle von Eugen d’Albert, der den „Liebestraum Nr. 1“ von Franz Liszt spielte, hatte es mir angetan. Das Stück musste mir immer wieder vorgeführt werden.

Alle diese Musik-Erfahrungen aus meiner Kindheit und Jugend weckten tiefste Sehnsüchte in mir und setzten eine intensive Motivation frei zum lebenslangen Musizieren und Lernen.

Der legendäre Pianist Wilhelm Backhaus in den 20er Jahren an einem Reproduktionsklavier der Firma Steinway-Welte (Freiburg). Mit im Bild die Unternehmensleitung mit den damaligen Aufzeichnungsgeräten.
FOTO: STEINWAY-WELTE

Wie wuchsen Sie weiter mit der Musik heran – und welche Überlegungen hatten Sie bezüglich Beruf und Studium?

Im Rahmen der vorberuflichen Fachausbildung sammelte ich erste Erfahrungen als Klavierbegleiter im Geigenunterricht von Käte Schlesiger. Da sah ich, dass die Geigenschüler von Anfang an auch U-Musik lernten. Als Klavierschüler war das für mich im Lehrplan nicht vorgesehen, und so brachte ich mir selbst Ragtimes bei, begann zu komponieren und lernte die Klavierstücke von Franz Schubert kennen und nach dem Stimmbruch auch seine Lieder.

Der Wunsch, mit Musik zu arbeiten und mein Leben zu verbringen, war schon in der Kindheit stark ausgeprägt. Als Sechzehnjähriger begann ich, mit Musik mein erstes Geld zu verdienen – z .B. für 70 DM abends im Restaurant „Kommende Ramersdorf“ zur Unterhaltung Klavier zu spielen. Da erfreute ich dann die Gäste mit dem, was ich zunächst für unterhaltsam hielt: Czerny-Etüden, Foxtrotts im Novelty-Stil und verstaubte Schlager der 50er-Jahre. In dieser Zeit habe ich in Bonn außerdem noch privat Kompositionsunterricht genommen. Ich hatte ja noch so viel zu lernen!

Wie ging es dann weiter?

Der rumänische Klavierlehrer Justin Oprean unterrichtete mich von 1982-1984, nachdem ich vorher schon Stücke von Debussy einstudiert hatte. Er war einer der besten Spieler seines Jahrgangs (1950), die jemals in Westdeutschland gearbeitet haben. Er war sehr genau, z. B. bei Chopin – und vermittelte beim Mozartspiel die richtigen musikalischen Impulse. Leider ist er schon verstorben.

Mit meinem Zweitinstrument, dem Fagott, spielte ich im Jugendsinfonieorchester Rheinland-Süd. Es fanden sogar Konzert-Reisen nach Frankreich und Israel statt. All das war Bestandteil des Musikleistungskurses, den ich besuchte. Dort habe ich auch die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens erlernt. Als wir in Israel waren, habe ich – wie auch ein weiterer Kollege aus dem Orchester – quasi gewerblich vor Ort gearbeitet: ich beim Rundfunk in Jerusalem, er beim Jerusalem Symphony Orchestra.

Wie haben Sie Ihr Erststudium erlebt?

Mein Erststudium galt dem Dirigieren von Unterhaltungsmusik bei Prof. Helmut Schaal sowie dem Fach Musikgeschichte an der Musikhochschule Köln. Im Bereich Dirigieren hatte ich mehrere Lehrer, was mir im Bereich Ensembleleitung bis heute nützlich ist. Helmut Schaal, damals Chef des deutschen Militärmusikwesens, war in seinem Unterricht zwar freundlich, aber unnachgiebig. Das war gut so, da wir z. B. Einzelnummern und Potpourris aus Operetten, wo es absolut auf das Timing ankommt, lernen mussten.

Sonst sprach und agierte Helmut Schaal als Diplomat. Da ich als Schüler und Abiturient in Bonn u. a. in die koreanische und französische Botschaft zu Konzertauftritten eingeladen wurde und auch vor dem Bundespräsidenten spielte, war mir dieses Milieu vertraut. Parallel dazu hatte ich dann wieder einen sehr guten Klavierlehrer, José Luis Prado, der großen Wert auf körperliche Entspanntheit legte.

Leider ist er mittlerweile ebenfalls verstorben.

Markus Goosmann als Stummfilmpianist im Filmmuseum Düsseldorf: „Für mich ist diese Art der Improvisation auch heute noch eine spannende Aufgabe!“
FOTO: ANDREAS ENDERMANN

Wie erlebten Sie die Ausbildungszeit als Orgelbauer und erste Auftritte als Pianist?

Aus familiären Gründen konnte ich mein Erststudium nicht beenden, sondern suchte mir zunächst einen Ausbildungsplatz. In der Kindheit hatten mich neben dem Klavier auch Pfeifenorgeln fasziniert und ich habe dann meine Lehre bei der Firma Weyland-Orgelbau in Leverkusen mit gutem Erfolg abgeschlossen. Als Senioren-Jobber arbeitete dort auch Hermann Heckedorn, in seiner Jugend einer der letzten Lehrlinge der Firma Orgelbau Welte in Freiburg! Er erzählte mir viele unbekannte Dinge über das Unternehmen und machte mich mit dem Metallpfeifenbau vertraut. Nach meiner Ausbildung wollte ich gern in Düsseldorf bleiben, nur gab es in der Region keine Arbeitsplätze im Orgelbau. Ein damaliger Freund wies mir den Weg zum Barpiano und vermittelte mir seine Kenntnisse, damit ich mein Repertoire vergrößern konnte. Ich entschloss mich, noch einmal zu studieren und bereitete mich darauf mit Klavierstunden bei Prof. Christian de Bruyn vor.

Sie absolvierten ein Zweitstudium?

Dieses Zweitstudium erfolgte von 1996 bis 2001 an der Musikhochschule Düsseldorf, im Hauptfach Klavier-Pädagogik bei Prof. Wieslaw Piekos und bei Prof. Albrecht Klora im Nebenfach Gesang.

Parallel dazu arbeitete ich zu Beginn u. a. als Klavierbegleiter für die Berliner Schauspielerin, Opernsängerin und Synchronsprecherin Christine Marquitan.

Bei dem brasilianischen Pianisten Prof. Roberto Szidon erfuhr ich ein Auftritts- und Qualitätstraining und trat wiederholt bei seiner Kammermusikreihe „Kaleidoskop“ auf. Er ließ dort ausschließlich Einzelwerke ohne Opuszahlen aufführen, hob diese Regel dann aber auf, weil ihm meine Darbietungen gefielen und ich beim Publikum gut ankam. Ich durfte spielen, was ich wollte, auch mit Opuszahl und Teile einer Werkgruppe.

Haben Sie nicht auch einmal einen Gedenktag für Frederic Chopin gestaltet?

Eine weitere schöne Aufgabe im Studium war die Gestaltung des 150. Todestages

von Chopin, ich begleitete u. a. die Cellosonate, die der Cellist Matthias Kaufmann und ich auch dem Rektor vorspielen mussten, von dem ich gleichzeitig einen Kammermusikschein erwarb. Eine Aufführung war gewerblich, bei einem weiteren Auftritt an der Hochschule rezitierte ich das Chopin-Gedicht von Gottfried Benn, wofür ich im Bereich Sprecherziehung geübt hatte, und was wiederum Roberto Szidon sehr gefiel.

Parallel zum Studium spielte ich bei gesellschaftlichen Anlässen und in Hotels (s.u.) sowie gehobener Gastronomie. Wir hatten an der Hochschule ein gut funktionierendes Job-Referat, so dass es immer Anschlussaufträge gab.

Welche Berufsfelder ergaben sich für Sie nach dem Studium?

Heute liegt der Schwerpunkt auf meiner pädagogischen Tätigkeit als Klavierlehrer.

Durch die Coronakrise gibt es zwar eine kleine „Delle“, doch ist die Nachfrage bei mir in den letzten zwei Jahren enorm gestiegen. Das Unterrichten selbst musste ich allerdings erst noch lernen, wobei mir Prof. Monika Twelsiek (Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf) und Eva-Daniela Caldeweyher (Bergische Musikschule Wuppertal) in Sachen Didaktik und Methodik extrem helfen konnten.

Ein Schwerpunkt meiner gesamten Tätigkeit als Musiker liegt heute auf der Unterhaltung am Klavier. Als Stummfilmmusiker hatte ich 2014 eigene Festspiele an der Welte-Kinoorgel und am Klavier im Filmmuseum Düsseldorf, 2017 ebenso eigene Festspiele im Internationalen Phono- und Radiomuseum Dormagen. Als klassischer Pianist gastierte ich außerdem in Bonn, als Liedbegleiter in ganz NRW, Bayern und als Kammermusikpartner 2003-2005 sogar auch auf hoher See: Auf der MS Hanseatic (TUI) in der Antarktis teilweise zusammen mit der Berliner Geigerin Birgit Schröder. Diese Konzertreise per Schiff eröffnete übrigens nachhaltig meine Begeisterung für Pinguine!

Wie erleben Sie insgesamt Ihre Arbeit als Pianist in der Unterhaltungsmusik?

Es ist wichtig, sich bei einer Feier in die Rolle des Gastgebers zu versetzen. Dazu gehört auch die Abstimmung des Repertoires und das spontane Eingehen-Können auf die Wünsche der Gäste.

Ein Beispiel in einer Weinhandlung: Ein Club norwegischer Geschäftsleute hatte sich Düsseldorf zur Freizeitgestaltung ausgesucht, und ich hatte tagelang Jazz und Blues geübt. Ich improvisierte frei über meine Vorlagen, was schon gut ankam und dann sangen die Gäste plötzlich norwegische Lieder wie „Tief ins Fjäll…“. Ich konnte sie ad hoc am Klavier begleiten, und die Begeisterung war groß!

Was ich, auch bei meinen Forschungsthemen, bevorzuge, ist grundsätzlich Musik mit Profil und Tiefenschärfe, also z. B. Stücke, wie sie Theo Mackeben (Uraufführungsdirigent der „Dreigroschenoper“) und Franz Grothe (langjähriger GEMA-Präsident) geschrieben haben. Die heutige Musik ist nicht immer harmonisch abwechslungsreich – aber alles hängt am Sänger, der sein eigener Rhythmiker sein muss.

Gab es auch Zufälligkeitsaufträge?

Bei einem Gastspiel auf der MS Hanseatic kam einmal ein kultivierter Herr an meinen Flügel und fragte: „Können Sie für mich ‚Peterle, Du liebes Peterle‘ spielen?“ Wenn man nur den Anfang kennt, spielt man so etwas nach den ersten acht Takten „täuschend echt“ weiter. Der Herr bedankte sich vielmals und sagte: “Ich bin Dr. Kleine, der Sohn des Komponisten.“ Ich erhielt von ihm einen Forschungsauftrag, die Nachlässe seines Vaters, Werner Kleine, und von Georg Haentzschel, der die Musik zu „Münchhausen“, dem Film zum 25-jährigen Jubiläum der UFA, geschrieben hatte, zu erschließen. Eine liebe Bekanntschaft schloss sich daran an.

Ein Schlüssel zum Erfolg ist ebenso der Dialog mit dem Publikum. Auch heute noch mache ich für meine Sängerinnen und für mich meist stichpunktartige Notizen, was ich den Hörern über die Stücke vermitteln möchte. Auf die Vorgaben meiner Solistin Odetta Vrba, mit der ich seit 2003 zusammenarbeite, kann ich mich dabei völlig verlassen, und schön ist es, sie auswendig zu begleiten.

Warum interessieren Sie sich für die Unterhaltungskultur?

Mein Interesse an der musikalischen Unterhaltungskultur hat mich zur Zeitgeschichte geführt, also dahin, wie die Menschen früher gelebt haben, welchen Bildungshintergrund sie hatten, was ja auch Basis für das frühere Konzertwesen war. Als Gesprächspartner zum Thema bin ich ebenso von der Presse (zuletzt z. B. Rheinische Post, 2.10.19 und Neuss-Grevenbroicher Zeitung, 31.12.19) gefragt und war es auch auf meiner eigenen Retrospektive in Dormagen 2016. Da habe ich z. B. dargelegt, dass der Schlager früher aus dem Film kam. Die ersten sprechenden Filme Ende der 20er Jahre waren abgefilmte Operetten und wenn diese in den großen Berliner Kinos Premiere hatten, ging das wohlhabende Publikum in die Hotels, um auf die Hauptmelodien der Filme zu tanzen. Das heißt, die Arrangeure hatten Hochkonjunktur, weil sie für den speziellen Sound der Hotelorchester die entsprechenden Partituren liefern mussten. Heute gilt den berühmten Köchen diese Aufmerksamkeit.

Ganz in der Gegenwart: Markus Goosmann 2020 zusammen mit der Mezzosopranistin Odetta Vrba bei einem corona-bedingten Open-Air-Konzert im Hof einer Seniorenresidenz. Der anwesende Oberbürgermeister swingte vergnügt mit.
FOTO: PRESSEAMT LANDESHAUTSTADT DÜSSELDORF

Sie sind auch als Stummfilmpianist gefragt?

Noch heute gilt Musik als wichtiges Mittel, um die Wirkung eines Films zu verstärken. Das galt umso mehr in der Ära der Stummfilme. Ich darf bescheiden darauf hinweisen, einer der wenigen Musiker zu sein, der das Handwerk der Stummfilmmusik noch beherrscht. Stummfilme gehören zu einer längst vergangenen Ära, zu einer Zeit, als die ersten Kinos ihre Türen öffneten, in welcher der filmische Humor begründet wurde. Der Ton nahm dem Film seine Geisterhaftigkeit: durch Kinoerzähler, die Benutzung des Phonographen, Aufführung von Opernfilmen und Musik jeglicher Besetzung. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, der heute kaum noch ein Musiker nachgeht.

Wie sind Sie zu dem Thema Stummfilm gekommen?

Aus Erzählungen meines Vaters (Jahrgang 1916) bin ich dem stummen Film früh begegnet. Er hatte seine Jugend im Vorkriegs-Köln verbracht und berichtete über naturkundliche Lehrfilme unter Beteiligung eines Pianisten – und wie er von der Komödie „Safety Last!“ (1923) von Harold Lloyd Albträume bekam. Später holte ich mir ein Filmlexikon und besuchte die Vorstellungen der Film-AG unserer Schule, die von Stefan Drößler geleitet wurden, der übrigens mittlerweile seit vielen Jahren Direktor des Münchener Filmmuseums ist. Auch war ich bei den Ersten Bonner Stummfilmtagen dabei, wo u. a. Streichquartette begleiteten, was sehr interessant für mich war.

Wie würden Sie Ihre Aufgabe als Stummfilmpianist beschreiben?

Für mich ist diese Improvisation auch heute noch eine spannende Aufgabe, der ich hin und wieder im Filmmuseum sehr gerne nachgehen kann. Da ist die Leinwand – hier bin ich! Das heißt, dass bei dieser Kunst eine Art Dialog mit dem gezeigten Film stattfindet: Während ich spiele, fliegt mein Blick zwischen Leinwand und meinen Notizen hin und her. Ich stehe dabei im ständigen Kontakt mit dem Film, da ich die Klaviertastatur meist nur fühle.

Meine Arbeitsgänge sind normalerweise wie folgt: Ich erstelle mir ein Storyboard zum Film. Dann vertone ich ihn und mache mir dabei Notizen in Kurzschriftform: welche Klänge und welche Tonleitern mit Begleitungen ich verwende. Dabei fällt die Hälfte meines Storyboards unter den Tisch, so dass ich meine Notizen raffen kann. Übrig bleiben Eckpunkte der Vertonung, die ich anschließend bei der Vorführung vor mir habe. Jeder Komplettdurchgang vor der Aufführung und jede Aufführung sind anders. Gerne würde ich meine Generalproben für den Film der Öffentlichkeit zugänglich machen.

„Seit 2018 hat die Anzahl meiner Schüler deutlich zugenommen, inklusive Lehrauftrag an der Musikschule Dormagen. Und mein privates Ausbildungs-Studio mit Flügel und Digitalpiano konnte ich mir schon vor einigen Jahren im Düsseldorfer Stadtteil Düsseltal einrichten.“
FOTO: GRZEGORZ BIENIEK

Haben Sie nicht auch einen Stummfilm von Germaine Dulac vertont?

Zuletzt begleitete ich Filme der französischen Filmregisseurin und Filmtheoretikerin Germaine Dulac (1882-1942). Bei einer Veranstaltung im Düsseldorfer Filmmuseum am 24.09.2019 vertonte ich unter anderem den Film „Antoinette Sabrier“ (1927), den ich am selben Tage zum ersten Mal zu sehen bekam. Dreimal schaute ich mir den Schwarz-Weiß-Streifen am Vormittag an. Einmal, um mir grundlegende Handlungspunkte zu notieren und vorhandene Motive und Musiknummern zu fixieren. Zweimal habe ich den Film dann zur Übung gespielt, es waren – mit der Aufführung – drei vollständig verschiedene Versionen; die erste war die Allerbeste!

Wichtig ist z. B., dass der Schluss von der Dramaturgie her passt. So, wie das Unterrichten-Lernen lange gedauert hat, hat das Lernen von Stummfilmbegleitung auch lange gedauert, seit ich 2007 mit Vorstellungen für den Freundeskreis des Filmmuseums und den russischen Filmklub angefangen hatte. Mein großes Vorbild ist der legendäre Stummfilmpianist Willy Sommerfeld, der noch mit 103 Jahren bis zu seinem Tod 2007 aktiv war. Bei ihm ging der Blick auf die Leinwand direkt in den Bewegungsapparat, das wiederum gab bei ihm eine Rückkoppelung, mit dem, was auf der Leinwand passierte, und so ging es immer weiter – wie ein konzentrierter Stromkreis! Es ist ein herrliches Gefühl, das nach den Mühen der Vorbereitung zu erleben – vor allem, wenn einem das Publikum folgt!

Können Sie bei dieser Arbeit auch auf Reaktionen des Publikums eingehen?

Mich beeinflusst auf jeden Fall nicht nur das Geschehen im Film. Mich leiten zwei Dinge im Kino: Ich will mein künstlerisches Konzept verwirklichen und gleichzeitig das Publikum durch die Vorstellung führen, so dass es eine ideale Vorstellung erlebt.

Ohne die Technik des „Mickey-Mousing“ zu sehr hervorzuholen, kann ich die Effekte einer Komödie verstärken. Wenn es auf der Leinwand gefühlvoll, ernst und spannungsreich zugeht, verführe ich das Publikum: ich bringe meine gesamte Bühnenerfahrung ein: Die dramaturgischen Effekte der Musik müssen genau auf den Film passen – und ich will das Publikum packen! Ein Regisseur sagte einmal nach einer Komödie: „Das war gut, ich habe die Musik nicht so bewusst wahrgenommen, aber sie war Teil des Ganzen!“

In den vergangenen 15 Jahren arbeitete ich eng mit dem Düsseldorfer Filmmuseum zusammen, war selbst 14 Jahre lang Vizevorsitzender in dessen Förderverein. Etwa 30 Filme vertonte ich in dieser Zeit – einen Großteil davon hier in Düsseldorf, den Rest bei Gastspielen im Ruhrgebiet. Zwischen 2014 und 2016 hatte ich sogar die Möglichkeit, monatliche Filmvorführungen zu begleiten. Ein Format, das ich gerne fortsetzen würde. Meine Spezialität ist die Komödie – jedoch nicht nur. So habe ich z. B. allein am Klavier „Nosferatu“ begleitet.

Können Sie bitte etwas zu Ihrem gesamten Musik-Repertoire sagen?

Neben den Klassikern der Unterhaltung verfüge ich über ein großes Auswendig-Repertoire an populärer Musik (ca. 5.000 Kompositionen) – von den 20er-Jahren bis zu Michael Jackson. Auch Arrangements aus den Bereichen Oper und Weltmusik finden sich in meinem musikalischen Portfolio. Dabei bin ich u. a. auf die musikalische Umrahmung festlicher Gelegenheiten spezialisiert – solo oder im Ensemble mit Sängern oder anderen Instrumentalisten. Hier einige Referenzen: alle großen Düsseldorfer Hotels, früheres Suissotel Neuss, Interconti, Marriott im Hafen sowie die Leitung der Weihnachtskonzerte im Breidenbacher Hof 2008–2016. 2011 Auftritte im Hotel Budersand in Hörnum (Sylt). Als einziger Brauhaus-Pianist spielte ich 2003–2004 im traditionellen Kölner Brauhaus Töller.

Wie würden Sie Ihre Tätigkeit als Klavierlehrer beschreiben?

Die Anzahl meiner Schüler hat seit 2018 deutlich zugenommen, inklusive Lehrauftrag an der Musikschule Dormagen seit Ende 2019. Mein privates Ausbildungs-Studio mit Flügel und Digitalpiano habe ich mir im Düsseldorfer Stadtteil Düsseltal eingerichtet. Insgesamt konnte ich im Lauf von ca. 25 Jahren viele Erfahrungen beim Unterrichten auch von Klavier und Gesang sammeln. Ebenso bin ich als Korrepetitor gefragt. Im Zentrum der Ausbildung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene stehen Spaß wie auch Hingabe. Das Unterrichtsangebot richtet sich an Kinder ab 5 Jahre, Jugendliche und Erwachsene. Zu den Wissensgebieten, die ich gerne in meinem Unterricht vermittele, gehören auch Musikgeschichte und Stilkunde. Meine Sammlung zur Geschichte von U-Musik, die ich aufgebaut habe, hilft mir ebenfalls dabei.

Maßgebend für meinen Klavierunterricht ist nicht, „wie weit“ Kinder schon spielen können, sondern „wie gut“ das in Zukunft der Fall sein wird. Musik entsteht aus der organischen Verbindung von Tönen – und ich bin dazu da, meine Schüler bei der Verwirklichung ihrer Ziele zu unterstützen. Die Vermittlung von technischen Grundlagen sowie der Theorie, auch die der Unterhaltungsmusik, kann ich für jeden interessierten Schüler und auf jedem Niveau leisten – vom Anfang bis hin zur Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung für einen Musikstudiengang, wie erst kürzlich wieder geschehen.

„Außerdem erkunde ich die Geschichte der Unterhaltungsmusik – u. a. am Beispiel des ungarischen Geigers Barnabás von Gézcy.“ Das Bild zeigt ihn mit seinem Orchester ca. 1935 im Trocadero, Westerland auf Sylt. In diesem Tanzlokal traten u. a. Marlene Dietrich und Hans Albers auf. Auch Max Schmeling schaute gelegentlich vorbei!
FOTO: ELECTROLA

Mit welchen künstlerischen Partnern treten Sie gerne bei Konzerten auf?

2002 gründete Jürgen Wolf, der frühere Solo-Cellist der Düsseldorfer Sinfoniker zusammen mit mir das Trio Capriccio, das sich selten aufgeführten Werken der Kammermusikliteratur widmete. Das Ensemble trat u. a. in der Rotunde der Tonhalle Düsseldorf und bei Veranstaltungen der Düsseldorfer Sinfoniker auf wie auch bei Gastspielen in den Niederlanden und Privatgesellschaften (u. a. Rochusclub Düsseldorf). Dieses Trio besorgte u. a. die europäische Ersteinspielung des "Café Music Trio" von Paul Schoenfield. Mit den Chansonsängerinnen Odetta Vrba und Theresa Wagner trete ich ebenfalls gemeinsam oft und gerne auf. Mit der Geigerin Tatjana Faber gastierte ich außerdem regelmäßig im Internationalen Phono- und Radiomuseum Dormagen.

Sie befassen sich außerdem mit musikwissenschaftlichen Themen?

Seit 1998 erkunde ich die Geschichte der Unterhaltungsmusik aus West- und Mittel-Europa im Vergleich zu Großbritannien und den USA in den 1920er bis Ende der 1950er Jahre, wobei sich der Markt teilweise überschnitten hat und die amerikanische U-Kultur seit 100 Jahren in Europa Nachahmer findet. Die Artefakte dazu sind interessant. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt in der Erforschung von Leben und Werk des Geigers und Kapellmeisters Barnabás von Géczy (1897–1971). Wichtige Studienreisen zu Quellenmaterialien führten mich durch Deutschland und Ungarn, eine umfassende Monografie ist in Vorbereitung.

Meine bisherigen Publikationen zum Thema – eine Art Vorstudie – „Die Tätigkeit Barnabás von Géczys und seines Orchesters im Rahmen deutscher Unterhaltungsmusikkultur" wurde u. a. von den Stadtbibliotheken Düsseldorf und vom Sylter Archiv, Westerland, erworben. Außerdem veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in dem Magazin „Fox auf 78“ (www.fox-auf-78.de), Herausgeber Klaus Krüger, zum Thema historische Unterhaltungsmusik.

Welche aktuellen Termine stehen bei Ihnen in der nächsten Zeit auf dem Programm?

Hinweisen möchte ich auf zwei Konzerte:

Kurt Weill & Bert Brecht in Düsseldorf

Samstag, 24. Oktober, 20:00 Uhr

Bürgerhaus Bilk Salzmannbau, Himmelgeister Straße 107h

Lieder von Kurt Weill auf Texte von Bertolt Brecht

Marie Osér, Chansonette; Markus Goosmann, Klavier

Veranstalter: kom!ma frauenverein

Kurt Weill & Bert Brecht in Köln

Freitag, 30. Oktober, 20:00 Uhr

Hinterhofsalon, Aachener Straße 68 (Köln!)

Lieder von Kurt Weill auf Texte von Bertolt Brecht

Marie Osér, Chansonette; Markus Goosmann, Klavier

Namentliche Anmeldung unter: info [at] hinterhofsalon.de


Das Interview führte Prof. Dr. Hartwig Frankenberg


CDs mit Markus Goosmann:

Trio Capriccio:

Werke von Prinz Louis Ferdinand, Robert Schumann, Paul Schoenfield

Martin Schminke, Violine; Jürgen Wolf, Violoncello; Markus Goosmann, Klavier

GEMA / DDD / LC 02139 / Mai 2002


Markus Goosmann: Ihr Mann am Piano

Werke von Franz Grothe, Friedrich Holländer, Helmut Gardens u. a.

Odetta Vrba, Mezzosopran; Markus Goosmann, Klavier

www.markusgoosmann.de


INTERVIEWREIHE „MUSIK IM GESPRÄCH“: WEITERE TERMINE 2020

Öffentliche Interviews ab 01.09.2020:

Zeit: 20:00 Uhr

Ort: Zentralbibliothek / Musikbibliothek / Lesefenster

Bertha-von-Suttner-Platz 1
40227 Düsseldorf

Ausgabe 11+12-20:
(Interview: 29.09.20)
Anna Seropian, Klavier
Ausgabe 01+02-21:
(Interview: 24.11.20)
Dr. Doris Bischler,
Direktorin der Clara-Schumann-Musikschule Düsseldorf

ANMERKUNG:

Unabhängig von der Entwicklung der Corona-Pandemie werden die geplanten und vereinbarten Interviews der Reihe „Musik im Gespräch!“ fortgesetzt und zumindest in den zweimonatlich erscheinenden Online-Ausgaben des „Konzertkalenders in+um Düsseldorf“ unter www.konzerte-in-duesseldorf.de auch weiterhin publiziert!

Voraussichtlich bis einschließlich 31.08.2020 finden in der Musikbibliothek keine öffentlichen Interviews der Reihe „Musik im Gespräch!“ statt!