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„Musik im Gespräch!“(11/12 2013)

Walter Scheffler: „Musik ist ein gutes Modell für gesell­schaftliches Denken und Handeln!“

Walter Scheffler: „Musik ist ein gutes Modell für gesell­schaftliches Denken und Handeln!“

Foto: Privat

Walter Scheffler - Gründer und Vorsitzender des Vereins grenzenlos e.V. und Dozent an der Fachhochschule Düsseldorf für Sozial- und Kulturwissenschaften im Gespräch mit unserer Redaktion.

Walter Scheffler, Jahrgang 1948, kommt ursprünglich aus dem Saarland, absolvierte in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Ausbildung zum evangelischen Katecheten, einem von der Kirche beauftragten Religionslehrer, und studierte später Sozialpädagogik mit Abschluß an der Fachhochschule Düsseldorf. Seit den 70er Jahren kümmert er sich in der Landeshauptstadt um in soziale Not geratene Menschen, gründete in den 90er Jahren den Verein „grenzenlos e.V.“ als eine „Initiative gegen den Verlust gesellschaftlicher Kontakte“ und eröffnete zusammen mit Partnern das gleichnamige Restaurant „grenzenlos“ in Unterbilk. Außerdem ist er seit vielen Jahren Dozent im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften an der FH Düsseldorf. Als Jugendlicher begeisterte er sich für Rock’n Roll und Blues, sang im Kirchenchor und engagierte sich später in und mit seiner Band. Hierbei entdeckte und nutzte er viele Jahre die vielfältigen Möglichkeiten, Musik zu einem aktiven Teil der Sozialarbeit zu machen. Auf diesen Punkt konzentriert sich das folgende Gespräch.


Können Sie sich an Ihre früheste Begegnung mit der Musik erinnern?

Nicht direkt, aber ich hatte früher mal ein Foto, auf dem ich mit einem Saxophon in der Hand zu sehen bin, da war ich etwa 14 Jahre alt. Etwas später sang ich im Kirchenchor und erinnere mich an einen Chorauftritt unter Prof. Oskar Gottlieb Blarr 1967 auf dem Kirchentag in Hannover. Für mich als Katechet sowie in der gemeindlichen Jugendarbeit war die Musik ohnehin nicht nur Bestandteil biblischer Verkündigung, sondern schon immer auch Sozialarbeit.

Walter Scheffler: Frühe achtziger Jahre im Düsseldorfer zakk - Zen­trum für Aktion, Kultur und Kom­mu­nikation GmbH.

Foto: Privat

Wie verlief dann Ihre musikalische Entwicklung weiter?

Nun, einige Zeit später bemerkte ich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Gesangstimme von Joe Cocker und meiner eigenen. Mit Partnern zusammen führte ich dann von etwa 1980 bis 2010 eine Band mit dem Namen „One Step Ahead Of The Blues“ - in Anlehnung an den gleichnamigen Titel von J.J. Cale (1938-2013), dem amerikanischen Musiker und Komponisten aus der Richtung Rockabilly, Blues, Jazz und Country. Mit unserer Band sind wir sehr oft aufgetreten auf Straßenfesten, in Musikkneipen, in Kulturhäusern wie dem Düsseldorfer zakk, ja sogar auch in Polen, etwa in Krakau, der Hochschulpartner-Stadt der FH Düsseldorf.

Walter Scheffler: In seinem Element als Sänger 1997 mit Band im zakk.

Foto: Privat

Wie ist Ihre Entwicklung hin zur Musik als Teil der Sozialarbeit zu verstehen?

Etwa zur selben Zeit, also zwischen 1985 und 2000, führte ich als FH-Dozent Semester-Projekte durch mit Gefangenen der Justizvollzugsanstalt (JVA) „Ulmer Höh“ im sogenannten „Jugendhaus“ in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Gefängnis Verein (Pfarrer Reiner Spiegel), der FH Düsseldorf und der Volkshochschule. Eine Projektgruppe bestand jeweils aus Studenten und maximal 8 Gefangenen zwischen 14 und 21 Jahren. Statt Gesprächsrunden zu führen, formierten wir eine Band aus den Instrumenten Gitarre, Schlagzeug, Percussion und Baß - manchmal auch mit Saxophon, Waldhorn und Klavier - und kamen wöchentlich einmal zur zweistündigen Arbeit zusammen. Aufgabe war es, über und durch die gemeinsame Musik ein regelrechtes sozialproduktives Training zu veranstalten. Außerdem wurde am Ende eines jeden Semesters nach Möglichkeit eine CD aufgenommen. Im „Männerhaus“ gab es neben der Band des Gefängnisseelsorgers Pater Wolfgang Sieffert und meiner „sozial-musikalischen Moderation“ außerdem ein Hip-Hop- und Rap-Projekt für und mit Untersuchungsgefangenen, deren Mitglieder sich sporadisch trafen, um miteinander zu musizieren, aber auch um Texte zu vertonen. Aus dieser Arbeit entstanden ebenfalls CDs.

Eine Frage, die angesichts solcher Projekte gerne gestellt wird, lautet: Gab oder gibt es meßbare, sichtbare Erfolge dieser Art von Sozialarbeit?

Natürlich nicht. Es wäre naiv, so etwas zu vermuten oder gar zu fordern. Aber es gibt in der Gegenwart und gab in der Vergangenheit genug vergleichbare Ansätze - mit langfristigen Erfolgen. In diesem Zusammenhang erinnere ich gerne an den bekannten italienischen Komponisten und Geiger der Barockzeit, Antonio Vivaldi (1678-1741). Er hat in Venedig u.a. als Lehrer und Leiter (wenn auch mit Unterbrechungen) am Waisenhaus „Ospedale della Pietà“ wie ein musikalischer Sozialarbeiter positiv in die sich neu etablierende bürgerliche Leistungs-Gesellschaft hineingewirkt: Er bot jungen Mädchen, die aus der Gesellschaft herausgefallen waren, eine solide musikalische Schulung, veranstaltete mit ihnen zusammen viele Konzerte und legte einen Teil der Einnahmen für jede Schülerin auf die hohe Kante, so daß die jungen Frauen irgendwann bei einer möglichen Entlassung nicht nur über eine gründliche musikalische Ausbildung, sondern auch über einen gewissen finanziellen Rückhalt verfügten und sich so mit beiden Ressourcen als gleichberechtigte Partner auf dem Arbeitsmarkt bewerben und in der Gesellschaft als eigenständige, unabhängige Personen auftreten konnten. Das klingt doch sehr modern!

Antonio Vivaldi (1678-1741) ist nicht nur der bekannte Komponist der „Vier Jahreszeiten“, sondern engagierte sich in Venedig auch als musikalischer Sozialarbeiter.

Bild: Wikipedia

Was sagen die Sozialwissenschaften zu solchen Ansätzen?

In der zeit­genössischen Sozialpädagogik ist man inzwischen bei einem Modell und Begriff angekommen, der sich „Empowerment“ (auf Deutsch: „Selbstbefähigung“) nennt. Diese Richtung wird auch von meinem Lehrer und Kollegen, Professor Nobert Herriger von der FH Düsseldorf vertreten. Danach richtet der Empowerment-Ansatz seine Aufmerksamkeit auf die „Selbstgestaltungskräfte“ der Menschen und auf ihre individuellen Möglichkeiten, die sie „produktiv zur Veränderung von belastenden Lebensumständen einzusetzen vermögen.“ Nichts anderes tat Antonio Vivaldi!

Walter Scheffler: Ganz feierlich bei der Begrüßung durch den früheren Bundespräsidenten Horst Köhler und seiner Ehefrau.

Foto: Privat

Das klingt einfach - aber wie wirksam zeigt sich dies in der ausführenden Praxis?

Das ist wirklich einfach - und wirksam zugleich! In unserem Flyer heißt es: „Das Engagement des Vereins ersetzt keineswegs die Aktivität der Betroffenen. Die Hilfsbedürftigen müssen ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen, ihren Stolz wiederentdecken und ihren eigenen Weg finden. Alles andere ergibt keinen Sinn.“ So sind z.B. die Mitarbeiter im Restaurant „grenzenlos“ nicht nur dazu da, unsere Gäste mit Speisen und Getränken zu bedienen. Mehrere von ihnen sind zugleich Sozialpädagogen und darauf vorbereitet, bei Bedarf - im Sinne der eben besprochen „Selbstbefähigung“ - Hilfe und Beratung anzubieten. Das Restaurant ist dadurch wesentlich eine Kommunikationsplattform, auch mit vielen kulturellen Angeboten und Projekten wie „Küchen der Welt“, „Sonntagskochen“, dem alljährlichen Sommerfest, Ausstellungen und Konzerten mit Werken aller Stilrichtungen und Epochen. Da können gerne mal Musiker in kleineren Formationen aus Düsseldorfer Orchestern oder Kantoren aus der Düsseldorfer Kirchenmusik auftreten. Übrigens sind bei uns Akustik und Resonanz sehr gut!


Das Gespräch führte
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg