Das Interview
„Musik im Gespräch!“Prof. Thomas Leander: „Die Robert Schumann Hochschule ist ein unverzichtbarer Teil des Düsseldorfer Kulturlebens!“
Prof. Thomas Leander: „Die Robert Schumann Hochschule ist ein unverzichtbarer Teil des Düsseldorfer Kulturlebens!“
Interviewgast:
Thomas Leander, geboren 1960 in Düsseldorf, ist seit 1995 Professor für Klavier an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Er kümmert sich dort seit November 2010 als Prorektor um die künstlerische Praxis und das Förderungswesen. Er studierte bei Herbert Drechsel in Düsseldorf, in Wien bei Paul Badura-Skoda, in London bei Geoffrey Parsons und Alexis Weissenberg. Als Solist und Liedbegleiter konzertierte er weltweit mit Karl Ridderbusch, Hermann Prey, Vladimir Spivakov, Natalia Gutman und Robert Gambill – in bedeutenden Sälen wie u. a. der Mailänder Scala, dem Großen Saal des Tschaikowsky-Konservatoriums Moskau oder dem Großen Festspielhaus Salzburg. 2013 initiierte Thomas Leander die vielbeachteten Konzerte des Sinfonieorchesters der Hochschule mit der Kultband „Die Toten Hosen“ in der Tonhalle Düsseldorf. Das aus dem Zusammenschnitt von drei Konzerten bestehende Album „Willkommen in Deutschland“ war 2016 die meistverkaufte klassische CD. Thomas Leander ist als Prorektor ein Mann der Tat, da es ihm mit seinen erfolgreichen Projekten gelingt, im Crossover zwischen Klassik und Rock sowie im Umgang mit gesellschaftskritischen Themen auch gordische Knoten auf elegante und kreative Weise zu lösen!
Musikalische Umrahmung:
Franz Schubert: 3 Lieder
„Der Wanderer an den Mond“ (D.870)
„Die Sterne“ (D.939)
„Fischerweise“ (D.881)
Ludwig Grabmeier, Gesang (Bariton)
Thomas Leander, Klavier
Clara Schumann:
Drei Romanzen für Violine und Klavier op. 22
Yamei Yu, Violine
Thomas Leander, Klavier
Die Professoren-Kollegen für die musikalische Begleitung:
Die Geigerin Yamei Yu, in China geboren, studierte in Peking, München und Berlin. Wichtige Impulse erhielt sie zusätzlich von Ulf Hoelscher und Dénes Zsigmondy. Von 1996 bis 2001 war sie Erste Konzertmeisterin an der Komischen Oper Berlin und anschließend bis 2010 in gleicher Position im Bayerischen Staatsorchester. Als Solistin konzertierte sie weltweit mit Dirigenten wie Ivor Bolton, Lord Yehudi Menuhin, Kent Nagano und Sebastian Weigle. Ihre CD-Einspielungen wurden mehrfach ausgezeichnet. Seit 2005 ist Yamei Yu festes Mitglied des renommierten Klaviertrios Trio Parnassus und unterrichtet seit 2009 als Professorin für Violine an der Robert Schumann Hochschule (RSH).
Der Bariton-Sänger Ludwig Grabmeier studierte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Mozarteum in Salzburg. Schon sehr früh wurde er Solist am Landestheater Salzburg und gab dort 1991 sein Debüt bei den Salzburger Festspielen in der Titelpartie der Uraufführung „Mozart in New York“, einer Oper von Helmut Eder. In den 13 Jahren im Ensemble der Deutschen Oper am Rhein sang er nahezu alle großen Rollen des lyrischen Baritonfaches. Neben seiner tiefen Leidenschaft, dem Liedgesang, ist ihm auch die zeitgenössische Musik ein großes Anliegen. Ludwig Grabmeier ist Professor für Gesang an der RSH.
Interview mit Prof. Thomas Leander:
Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit der Musik erinnern?
Da mein Vater an der Deutschen Oper am Rhein als Sänger tätig war, war das natürlich nicht zu vermeiden. Im elterlichen Wohnzimmer an der Ahnfeldstraße, wo immer die Züge vorbeirattern, stand ein Klavier, das mein liebstes Spielzeug war. Darauf klimperte ich schon als kleines Kind so heftig herum, dass man – zum Leidwesen der Nachbarn – von den Zügen nicht mehr viel hörte.
Wie entwickelte sich Ihr Interesse für die Musik in Ausbildung und Studium?
Mein Vater zeigte schließlich Initiative und meinte, wenn ich auf dem Klavier nur herumhaue, dann kann da nichts draus werden. Also erhielt ich mit fünf Jahren meinen ersten Klavierunterricht. Nach dem ersten Klavierlehrer, der auch Organist war, folgte schon bald der zweite Lehrer, verbunden mit ersten öffentlichen Auftritten und erfolgreicher Teilnahme an den Wettbewerben „Jugend musiziert“. Aber auch mein zweiter Lehrer meinte bald, dass ich wohl nicht mehr viel bei ihm lernen kann, und es folgte der dritte. Mein Blockflötenlehrer war – das war 1969 – Student am damaligen Robert Schumann Konservatorium und empfahl meinen Eltern und mir, ich solle mich dort als Jungstudent (Vorstufe zum heutigen Schumann-Junior) bewerben. Aufgrund des Vorspiels wurde ich – das war im Oktober 1970 – angenommen und bekam Untericht bei Prof. Herbert Drechsel.
Können Sie sich an Ihre pianistischen Vorlieben von damals erinnern?
Beethoven! Wenn sein Name nicht auf dem Titel eines Notenheftes stand, wurde das von mir strikt abgelehnt. Das kam erst später, dass ich das auch genießen konnte, wenn da mal ein anderer Name zu lesen war wie Mozart oder Clementi. Meine Neugier galt damals nicht den Komponisten, sondern den Klavierwerken. Mein Interesse galt aber nicht immer nur reinen Klavierstücken, sondern auch Klavierauszügen von Opern, die mich mächtig faszinierten. Unter anderem die Arie „Wie eiskalt ist dies Händchen!“ aus dem 1. Akt der Oper „La Bohème“ von Giacomo Puccini. Das war aber vielleicht noch nicht die richtige Musik für einen Zehnjährigen.
Was hat Sie an Beethoven so sehr fasziniert?
Den empfand ich als schön laut! Das war natürlich erst mal ein Vorurteil, denn seine Musik hat natürlich auch sehr viele leise, sensible Stellen. Diese Musik hatte für mich als 12-jährigen, etwas Straffes. Da war Rhythmus drin. Das hat mir unheimlich gefallen. Z.B. die erste Sonate in f-Moll , mit ihrem markanten Thema im ersten Satz, einem aufsteigenden Dreiklang, einer sogenannten „Mannheimer Rakete“. Dann ebenso die „Pathétique“, die ich leidenschaftlich gern spielte.
Wie ging es nach dem Studium weiter? Welche Karrieren haben Sie als Liedbegleiter und als Konzertpianist durchlaufen?
Wobei ich mir erst einmal klar werden musste, was ich beruflich überhaupt werden wollte. Eigentlich wollte ich ja alles andere werden – wie etwa Pilot – nur kein Musiker! Der Wunsch Pianist zu werden, kam dann nach meinem ersten Konzert mit Orchester – das „Malédiction“ für Klavier und Streichorchester des 13-jährigen Franz Liszt, ein ziemlich unbekanntes Stück. Da kam mir plötzlich die Gewissheit, als Pianist meine berufliche Zukunft zu gestalten – egal, wieviel Geld man mit dem Klavier verdienen kann! Diese Erkenntnis hat mir die Notwendigkeit vor Augen geführt, dass ich ein Netzwerk brauche.
Wie haben Sie das gemacht – als Konzertpianist und Liedbegleiter sind Sie ja viel rumgekommen?
Ich begann mit Solokonzerten und Kammermusik und kam erst später zur Liedbegleitung. Eines Tages erhielt ich ein Angebot, da war ich 27 Jahre alt, auf dem Kreuzfahrtschiff „MS Europa“ Konzerte zu geben. Ich habe zugesagt und u.a. – passend zum maritimen Kontext, die Reise ging in die Südsee u.a. zu den Osterinseln – von Claude Debussy das bekannte „Claire de Lune“ gespielt. Und mit dem berühmten Bass Karl Ridderbusch, jenem großartigen Hans Sachs und Hagen der Bayreuther Festspiele, habe ich Liederabende gestaltet. Mit ihm hatte ich viele schöne Konzerterlebnisse wie etwa – kurz vor der Wende – im Mai 1989 im Minnesänger-Saal auf der Wartburg. Auf dem Programm stand u.a. „Heimweh“ von Hugo Wolf (Text von Eichendorff). Die letzte Zeile der vierten Strophe wurde damals in der DDR normalerweise gesungen: „Grüß Dich Heimat aus Herzensgrund!“ Dabei steht bei Eichendorff nicht „Heimat“, sondern ganz klar „Deutschland“ – und so haben wir es auch aufgeführt! Die Menschen im Publikum gerieten in dieser aufgewühlten Zeit außer sich und reagierten sehr begeistert, betroffen und emotional. Anschließend wurde der Veranstalter allerdings von dem Stasi-Vertreter in das Ost-Berliner Innenministerium zitiert.
Gab es dann nicht auch noch eine Zeit mit Hermann Prey, den Sie auf dem Klavier begleitet haben?
Nach der Zeit mit Karl Ridderbusch kam eines Tages wieder eine Anfrage von der MS Europa, ich solle Hermann Prey auf einer Kreuzfahrt am Klavier begleiten. Seine Starpianisten hätten keine Zeit dafür. Da habe ich selbstverständlich sofort wieder zugesagt und auch mit Hermann Prey eine schöne und erfolgreiche Zeit erlebt – aber natürlich nicht nur auf dem Schiff! Ich wurde nach dieser Reise für mehrere Jahre sein Pianist. Die beiden schönsten Konzerte mit ihm waren das „Italienische Liederbuch“ von Hugo Wolf auf seinem Festival in Bad Urach, das live im Fernsehen auf 3sat europaweit ausgestrahlt wurde und der Liederabend in der Mailänder Scala mit Robert Schumanns Kerner-Liedern und Hugo Wolfs Mörike-Vertonungen.
Welche Projekte haben Sie mit welchem Erfolg als Hochschulprofessor initiiert?
Aus privaten Gründen habe ich 2010 mit dem Konzertieren aufgehört und habe das Angebot unserer Hochschulleitung angenommen, die Position eines Prorektors für künstlerische Praxis und Förderungswesen zu übernehmen. Das ist allerdings nicht spontan vom Himmel gefallen, sondern hatte eine Entwicklung mit einer Vorgeschichte. An unserer Hochschule haben wir z.B. das Institut für Musik und Medien. Diese Einrichtung bietet Studierenden die einzigartige Möglichkeit, künstlerische, musikalische mit wissenschaftlichen und technischen Kompetenzen phantasievoll zu verbinden und umzusetzen. Dazu gehört auch der Schwerpunkt „Visual Music“. Hier werden bei den Projekten Visualisierung von Musik in der Verbindung mit Licht, Bild, Film und Installationen konzeptionell und gestalterisch umgesetzt. Mit diesen Kollegen und Kolleginnen hatte ich bereits seit einiger Zeit zusammen gearbeitet und entsprechende Projekte über Robert Schumann, Franz Liszt und John Cage gestaltet.
Und eines Tages starteten Sie mit den Toten Hosen das Projekt „Willkommen in Deutschland“?
Ja, eines Tages kam mir dann die Idee mit dem Projekt „Entartete Musik -Willkommen in Deutschland“, das wir zusammen mit den „Toten Hosen“ 2013 sehr erfolgreich realisieren konnten. Bereits 1988 hatte die Tonhalle Düsseldorf unter dem damaligen Intendanten Peter Girth in Zusammenarbeit mit dem Kritiker und Musikwissenschaftler Albrecht Dümling eine Ausstellung zum Thema „Entartete Musik“ – als kommentierte und rekonstruierte Ausstellung der Düsseldorfer Reichsmusiktage von 1938 – durchgeführt. Bei den mit dieser Ausstellung verbundenen Konzerten 1988 konnte ich als Pianist mitwirken.
Können Sie diese Düsseldorfer Ereignisse von 1938 kurz schildern?
Bekanntlich hatten die Nazis im Dritten Reich ausgerechnet Düsseldorf zur „Reichsmusikstadt“ auserkoren und hier im Ehrenhof die Propaganda-Schau „Entartete Musik“ samt Konzerten mit Werken atonaler und jüdischer Komponisten 1938 inszeniert – allesamt Werke und Stilrichtungen, welche von den Nazis als „nicht-arisch“ diffamiert und diskriminiert wurden. Die Hetze richtete sich gegen jüdische Komponisten, Vertreter der Avantgarde und Jazz. Dieser Hintergrund wirkte auf mich sehr motivierend, um zum 75-jährigen Gedenktag der Ereignisse von 1938 das Thema nun in einem großen Projekt erneut aufzugreifen. Dieses so wichtige Thema sollte nicht einfach in der Versenkung verschwinden! Es sollte allerdings keine Ausstellung sein, sondern ein Projekt mit deutlichen, musikalischen Akzenten – auf jeden Fall mit dem Sinfonieorchester unserer Hochschule. Wir wollten als Düsseldorfer Musikhochschule an dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erinnern und so den wieder stärker werdenden, subtil agierenden rechtsradikalen Strömungen begegnen.
Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Projekt zusammen mit der Düsseldorfer Band Die Toten Hosen durchzuführen?
Die Idee war sofort geboren, die Toten Hosen anzufragen, um mit dieser Band, die bekanntlich immer schon eine klare Position gegen Rechts bezogen hatte, zusammen mit dem Sinfonieorchester der Robert Schumann Hochschule ein Konzert zu veranstalten. Somit ging es um eine gemeinsame Geste von Klassik- und Rockmusikern, die über ihre Grenzen hinweg ein Zeichen setzen wollten: Zusammen wollten wir zeigen, welche Bandbreite von Musik unter dem Nazi-Terror als „entartet“ gegolten hatte. Es sollte für uns und für die Öffentlichkeit ein künstlerisches Statement für Pluralismus und Toleranz sein.
Wie entwickelte sich das Projekt dann weiter?
Campino und ich trafen uns in einem Café in Flingern. Er sagte sofort zu, und es begann eine äußerst intensive Proben- und Vorbereitungszeit, die mit drei Konzert-Abenden (19.10. / 20.10. / 21.10.2013) in der ausverkauften Düsseldorfer Tonhalle ihren Höhepunkt fand. Bei dieser Veranstaltung stellten die Toten Hosen und die Mitwirkenden der Robert Schumann Hochschule die von den Nationalsozialisten verachtete und verbotene Musik in den Mittelpunkt. Das gemeinsam ausgewählte Programm zeigte das gesamte Spektrum sogenannter „entarteter“ Musik. Es reichte von unterhaltsamer Filmmusik von Korngold über Kompositionen von den Comedian Harmonists und Kurt Weill bis hin zu Schönbergs dramatischem Werk „Ein Überlebender aus Warschau“. Dieses Werk beschreibt die Erlebnisse eines Häftlings während des Aufstands im Warschauer Ghetto. Auch sind mehrere Songs der Toten Hosen dabei, die diese Themen, wie Hass und Vertreibung zum Inhalt haben und für die drei Konzerte in der Düsseldorfer Tonhalle neu arrangiert wurden.
Und was ist von all den Bemühungen übriggeblieben?
Übriggeblieben sind nicht nur Begeisterung und Erinnerung an dieses großartige Ereignis, sondern ebenso ein umfangreiches CD/DVD-Live-Album, welches das Projekt anschaulich dokumentiert. Auf zwei CDs sind als Zusammenschnitt von den 3 Konzerten 27 Musiktitel zu hören, während die DVD Interviews sowie Proben- und Konzert-Ausschnitte zeigt. Übrigens haben alle Mitwirkenden – auch die Toten Hosen – auf ein Honorar für ihre Arbeit verzichtet. Die Einnahmen aus dem Verkauf des Albums wurden wie alle Einnahmen unseren Stipendienprogrammen und zur Finanzierung von weiteren Konzertprojekten zur Verfügung gestellt.
Wie haben Sie speziell die Arbeit mit Campino erlebt?
Campino ist eine faszinierende, interessante und auch interessierte Persönlichkeit! Er ist nicht nur Sänger, Frontmann und Songwriter der Band „Die Toten Hosen“, sondern arbeitet auch als Sprecher und Schauspieler. Er ist ein überaus verantwortungsvoller Künstler. Freiherzig berichtete Campino zu Beginn über seine Nervosität – angesichts seines Zweifels, ob und wie diese beiden Musikwelten aus Klassik und Rock überhaupt zusammenwirken können. Aber schon sehr schnell stellte sich die Erkenntnis ein, dass man sich einander auf Augenhöhe begegnet und auch nur so miteinander arbeiten kann. Wir verstanden uns sofort sehr gut – auch nach dem Motto: Wir spielen zusammen eure Musik und ihr spielt mit uns unsere Musik. Zur Auswahl für das geplante Konzert gehörten natürlich auch Stücke aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill, welche Campino in der Rolle des Mackie Messer – mit Klaus Maria Brandauer als Regisseur – schon einmal in Berlin (2006) gespielt hatte. Das erleichterte die Zusammenarbeit. Sologesänge und Sprecherrollen in unserem Projekt übernahm grundsätzlich Campino, aber eben auch zusammen mit unseren Gesangs- und Instrumentalstudierenden. Die Proben für das Lied der Comedian Harmonists leitete übrigens mein Kollege Prof. Ludwig Grabmeier. Und um die Klanghomogenität dieses Gesangsquintetts mit unseren Studierenden zu gewährleisten, gab er auch während dieser Zeit Campino ein paar Gesangstipps.
Vielleicht können Sie aus Ihrer Sicht einige Phasen des Projektes kurz charakterisieren?
Noch im Nachhinein beeindruckt mich die besonders herzliche und zugewandte Atmosphäre während der Vorbereitungszeit, während der Proben und bei den drei Konzerten. Die eigentliche Probenarbeit dauerte ja nur eine Woche, und dann kam schon gleich das Konzert an drei aufeinander folgenden Abenden in der Tonhalle. Im Wechsel aus Musikstücken der modernen Klassik, welche im Dritten Reich verboten waren, und Liedern der Toten Hosen gestaltete sich ein dramaturgisch dichtes Programm, wobei oft Die Toten Hosen und das RSH-Orchester gleichzeitig auf der Bühne waren, unter der musikalischen Leitung von Prof. Rüdiger Bohn. Das reichte vom Lied „Wir sind die Moorsoldaten“, das 1933 von KZ-Häftlingen im Emsland komponiert wurde, über die Kinderoper „Brundibár“ von Hans Krása, welche unter extremsten Bedingungen 1942 im KZ Theresienstadt uraufgeführt wurde – bis hin zur Filmmusik von „Schindlers Liste“ von John Williams.
Zum Musikprogramm gehörten auch fröhliche Stücke?
Ja, durchaus. Dazu zählte z. B. der Song „Ich muss heute singen“ von den Comedian Harmonists, dem international bekannten und erfolgreichen Berliner Vokalensemble seit den 20er Jahren. Da jedoch drei der sechs Mitglieder Juden bzw. „Nichtarier“ waren, kam es bereits 1933 zu ersten Behinderungen, die einem Berufsverbot entsprachen. Und nicht zu vergessen den Alabama-Song von Kurt Weill, oder den Song „Einen grossen Nazi hat sie“ von Stephan Weiss und Fritz Grünbaum, den Campino und die Band hinreissend gespielt haben. Zum Konzept unseres Projektes gehörte ja auch die Haltung, bloß nicht in eine pathetische oder staatstragende Betroffenheit zu verfallen. Vielmehr ging es uns darum, die Schönheit und die Kraft der Musik zu präsentieren – Musik als Überlebenskraft, damit die verfolgten Musiker ihrem Elend etwas entgegenzusetzen hatten.
Nachdem wir über ein konkretes Projekt Ihrer Hochschule ausführlich gesprochen haben, stellt sich natürlich die Frage: Was zeichnet – angesichts drei weiterer Musikhochschulen in NRW – die Robert Schumann Hochschule besonders aus?
Mit ca. 850 Studenten, ca. 45 Professoren und ca. 200 Lehrbeauftragten sind wir relativ klein und überschaubar! Wir kennen uns und unsere Kollegen – und gehen auf Augenhöhe miteinander um. Das ist für mich ein großer Vorteil. Die Dienstwege sind effizient und kurz, sonst hätten wir ein solches Projekt wie „Willkommen in Deutschland“ sicher niemals so gut stemmen können. Wir müssen nicht so viele Leute fragen, wenn wir etwas planen. Das ist eine riesengroße Chance, die Hochschule immer wieder neu zu gestalten und auch immer weiter zu profilieren.
Ist dies nicht auch der internen Struktur zu verdanken?
Ja sicher: Hinzukommen unsere Abteilungen wie das Institut für Kirchenmusik, Institut für Komposition und Musiktheorie, Institut für Musik und Medien und das Musikwissenschaftliche Institut. Unsere Hochschule bietet im Institut „Schumann Junior“ Studienmöglichkeiten für Jungstudenten ab 8 Jahren. Wir bieten auch sogenannte Exzellenzstudiengänge an und unterrichten in einer Kooperation mit der Bundeswehr angehende Instrumentalisten für das Musikkorps. In dieser Kombination hat dieses Profil in Deutschland eine einzigartige Stellung. Auch mit dem WDR haben wir mittlerweile eine gute Kooperation. Es werden schon einige Konzerte oder andere Produktionen bei uns aufgenommen, die auch durchaus Studierende unseres Instituts für Musik und Medien assistieren, oder sogar selbst aufnehmen dürfen. Insgesamt steht unsere Ausbildung unter dem Leitgedanken der „Künstlerischen Vielfalt“ – so wie es unser Rektor beim diesjährigen Neujahrsempfang unserer Hochschule zum Ausdruck gebracht hat. Es macht uns einfach Spaß, an der Hochschule zu unterrichten und zu arbeiten!
Als Prorektor sind Sie für die künstlerische Praxis und das Förderungswesen der Hochschule verantwortlich. Welche Projekte stehen in nächster Zeit an?
Natürlich haben wir konkrete Pläne, über die wir mit und in der Öffentlichkeit sprechen werden, sobald die Dinge klar und ausgereift sind. Das war bei „Willkommen in Deutschland“ auch schon so. Wobei man natürlich auch anmerken muss, dass ein so riesiges Projekt nicht jeden Tag auf dem Programm stehen kann. Im Moment bin ich vor allem auch dabei, die Formate, die wir haben, weiter zu pflegen und auszubauen. Beispiele: Bei unserer Opernarbeit können Sie Ende April (25. bis 30.04. im Partika-Saal) den „Sommernachtstraum“ von Benjamin Britten als Produktion unserer Hochschule mit dem Regisseur Marcus Lobbes erleben, unter der musikalischen Leitung meines Kollegen Prof. Thomas Gabrisch. Ferner möchte ich an unser Gitarren-Festival im kommenden Herbst erinnern. Zu unseren Formaten zählen auch Konzerte und Orte außerhalb des Campus, wie das Haus der Universität, Robert-Schumann-Saal, Tonhalle, Bechstein-Haus, Kulturzentrum Sinsteden (Rommerskirchen), und das Haus im Haus, dieses wunderbare Wasserschloß in Ratingen. Nicht zu vergessen natürlich unsere eigenen Konzerte im Partika-Saal sowie Wettbewerbe und Konzerte mit Preisträgern und Konzerten mit unseren Kolleginnen und Kollegen, wie der GALA!
Die Robert Schumann Hochschule hat im Fall Dieter Falk viel Solidarität in der Düsseldorf Bürgerschaft erfahren. Welchen Stellenwert hat für Sie – als Ausbildungsstätte des Landes – der Kontakt zu den kulturinteressierten Menschen und Einrichtungen in der Stadt?
Wenn wir diese Menschen nicht hätten, würde es uns nicht geben. Wir brauchen Netzwerke, damit wir uns mit unseren Anliegen gegenseitig unterstützen. Natürlich haben wir auch eine ganze Menge zu bieten. Vor allem: Wir sind Teil der Düsseldorfer Kultur, was ganz wichtig ist und was man nicht vergessen darf. Und zum Thema Dieter Falk, finde ich es überwältigend, wenn plötzlich Bürger aufstehen und sagen, dass man so jemandem wie diesen tollen Musiker nicht einfach den Stuhl vor die Tür setzen darf. Denn wir alle wissen, dass Dieter Falk für unsere Studenten sehr inspirierend ist – und viel mit seinen Projekten auch für die Stadt Düsseldorf getan hat und tun wird. Diese Reaktion ist ja auch ein deutliches Feedback für unsere Arbeit. Wir sind lebendig!
Das Interview führte
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg
Fotos: Robert Schumann Hochschule / Susanne Diesner.
INTERVIEWREIHE „MUSIK IM GESPRÄCH“: WEITERE TERMINE 2019 / 2020
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Zentralbibliothek / Musikbibliothek / Lesefenster
Bertha-von-Suttner-Platz 1
40227 Düsseldorf
Miro Dobrowolny, Komponist und Dirigent
Julia Polziehn, Cellistin, Dozentin, Regisseurin
Christel Paschke-Sander, Vorsitzende Chorverband Düsseldorf
Alexandra Stampler-Brown, Geschäftsführende Direktorin Deutsche Oper am Rhein
Constanze Pitz, Künstlerische Leiterin des Clara-Schumann-Kammerchores Düsseldorf
Thorsten Pech, Kantor, Organist und Chorleiter, Künstlerischer Leiter des Bachvereins Düsseldorf
Franz-Josef Birk, Konzertpianist
Martin Wistinghausen, Sänger und Komponist